Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Eplemøya Songlag singen von "Mädchen & Mythen" 12.09.2015 Manchmal kommt es anders und dann vergisst man, zu denken. Man hofft nur, es möge bald vorüber sein und man plant nicht mehr. Schließlich ist man froh, durch das Tal und über den Berg gekommen zu sein. Man(n) wird vorsichtiger, bescheidener, übt sich in Demut und dankt dem Glück, dass es nur so kam. „Der weite Weg“ nach Meissen ist gestrichen, leider, und der Umweg nach Hause tags darauf über Potsdam auch. Der Träne im Knopfloch ist die Freude über das neue Wohlbefinden gewichen. Die Huysburg mit dem Benediktinerkloster, hoch oben auf einer bewaldeten Anhöhe nordwestlich von Halberstadt, ist nur zehn Kilometer von meiner Haustür entfernt. Zu Hause hocken mag ich trotzdem nicht, denn ein unscheinbarer Hinweis hat mich gelockt, dorthin zu fahren. Man muss nur den dunklen Wald ein Stückchen durchqueren, will man das historische Gemäuer erreichen. Diesen Ort umweht ein Hauch von Mystik sowie stiller Erhabenheit und wer sich Zeit nimmt, durch die gepflegten Anlagen zu gehen, kann vielleicht auch Geschichte erahnen, sie entdecken oder sich von Einsiedlerinnen erzählen lassen, die hier vor mehr als eintausend Jahren lebten. Direkt in Nachbarschaft zu den Mönchen. Auch ich habe diesen verborgenen Ort mitten im Wald zufällig gefunden, habe ein Stück Natur bewundert und versucht, ein wenig Vergangenheit zu fühlen. Es ist wie das Entdecken einer anderen Welt, deren Kultur, Mythen und Sagen, die damals hier erzählt und gesungen wurden. Irgendwann fand ich einen Namen, der fremd und spannend zu lesen war: EPLEMÖYA SONLAG. Ganz ohne instrumentale Begleitung, also a-capella, zu singen, ist ja für sich allein schon ein Wagnis und besondere Kunst. Wenn dabei noch unterschiedliche musikalische Wurzeln wie Jazz und Folk auf einzigartige Weise miteinander verschmelzen, darf man gespannt sein, wie das Resultat klingen mag. Das Damentrio EPLEMÖYA SOLAG macht genau das und stützt sich einerseits auf alte Folk-Traditionen ihrer Heimat Norwegen und zum anderen auf ihre Kreativität, Neues zu schaffen. Drei Frauenstimmen, kein einziges Instrument sowie kahle Klostermauern, so geht es mir durch den Kopf, als ich dort oben angekommen, aussteige. Doch was von außen noch wie altes nüchternes Gemäuer aussieht, durch schlichte Eleganz und pure Äußerlichkeit besticht, empfängt mich im Innern mit überschwänglicher Fülle sakraler Kunst und viel Glanz. Wieder einmal überrascht mich dieser Reichtum an menschlicher Schöpferkraft an den Wänden und Decken, in Form von Skulpturen, Schnitzereien und einem prunkvollen Altar. Die Holzbänke, auf denen ich Platz nehme, wirken demgegenüber fast schon ärmlich. Ich bin zeitig genug da, mir einen Platz zu suchen und das geballte Erbe längst vergangener Tage, das mein Auge kaum fassen kann, zu bestaunen. Und ganz nebenbei darf ich drei Damen beim Einsingen zuhören. Eine reichliche halbe Stunde später ist der Kirchenraum gefüllt und fast alle Plätze auf den Bänken belegt. Einer der Mönche begrüßt uns in seinem Haus und ganz besonders die weiblichen Gäste aus Norwegen mit dem Hinweis, dass sie ja nicht die ersten Frauen wären, wenn man die Einsiedlerinnen berücksichtigen würde. Ein freundlicher Begrüßungsapplaus und dann stehen die drei Ladies, namens EPLEMÖYA SONGLAG, direkt vor mir und sie singen. Das erste Stück „Møykjæringsvise“ kommt mir wie purer Klang vor, glasklar wie das Wasser in einem Bergsee. Vielleicht wohnt dort dieses reiche Mädchen, von dem sie singen. Sie bekommt keinen Mann, weil sich keiner traut und nun hat sie viel Zeit für andere Dinge des Lebens. Drei Frauenstimmen füllen den Kirchenraum in perfekter Harmonie und ein paar Füße treten den Takt auf den Boden. Zwischen den Strophen improvisieren die drei in einer Weise, die schon beinahe verspielt erscheint. Alles klingt flockig leicht, aber auch irgendwie sehr faszinierend fremd und erinnert entfernt irgendwie an das Jodeln und Joiken. Es sind Harmonien, die meinen Ohren schmeicheln und schon nach diesem ersten Song von ihrem ersten Album weiß ich, hier musste ich heute sein. Im Konzert werden wir vorwiegend Lieder des aktuellen zweiten Albums „Möya og Myten“ (Mädchen und Mythen) hören. Der „Huldresong“, über eine böse Kreatur in Norwegens Bergen, ist so ein Kleinod in Musik. Allerdings geht es darin um eine Art Hydra, die ahnungslose Männer mit ihrem Gesang lockt, um sie in ihrer Höhle verschwinden zu lassen. Also schön achtsam beim Wandern durch Norwegens Wälder sein! Auch das in altnorwegischem Dialekt gesungene „Maneyise“, eine Melodie, mit der man böse Kräfte einfach verschwinden lassen kann, beeindruckt mich auf sehr intensive Weise. Die drei Frauenstimmen verzaubern mich mit ihrem Gesang und hört man ganz genau zu, kann man die unterschiedlichen Facetten einer jeden Stimme erkennen. Die beiden Jazz-Sängerinnen faszinieren mich mit ihrem lässigen Perfektionismus, der selbst schwierige Harmonien, Quinten, Terzen oder gar Halbtöne, spielend leicht erscheinen lässt. So entstehen Spannungen, die sich dann plötzlich wieder auflösen. Eine gewisse distanzierte Coolness kann man ANJA ELINE SKYBAKMOEN (Sopran) und der neben ihr stehenden WENCHE LOSNEGÀRD (Alt), nicht absprechen. Sie stehen scheinbar unbeweglich und lassen nur ihr Stimmen miteinander spielen, hell erklingen oder im Raum schweben. War in ihren Gesichtern eben noch Ausdruck und Hingabe abzulesen, lächeln sie, während wir applaudieren, gelöst und dankbar. Neben ihnen stehend, komplettiert die blonde LIV ULVIK (Sopran), die in der Folk-Szene Norwegens bekannt ist, das Damen-Trio. Mit ihrer glockenhellen Stimme lässt sie reizvolle Tonfolgen entstehen, bildet unheimlich ausdrucksstark, mit Gesten und Nuancen, eine perfekte Ergänzung des weiblichen Dreiklangs. Drei Stimmen verschmelzen in Tradition, in Moderne und holen sich Facetten aus slawischer, gregorianischer und anderen Kulturen. Im Ergebnis entstehen klingende Geschichten, mit überwältigend intensivem Gesang von wirklich reizvollen Stimmen erzählt. Dahinter steckt eine kaum geahnte Power, die man selbst in den leisesten Tönen spüren kann. Am besten dann, wenn der letzte gesungene Ton oder Akkord unter dem Gewölbe noch einen Atemzug lang leise ausklingt. Irgend eines ihrer Lieder in besonderer Weise herauszuheben, fällt mir schwer. Jedes wirkt wie Magie auf mich, folgt einer anderen Struktur und die Vokalistinnen wechseln sich auch solistisch ab. Stets werde ich neu überrascht. Selbst ein altes Gedicht der englischen Dichterin Christina Rosetti haben sie vertont und überraschen mit einem schlichten aber zauberhaften Vortrag. Mir hat die etwas längere Ballade vom Olav sehr gefallen. In „Olav Og Elvarkvinnene“ reitet der ledige Olav aus, um Gäste zu seiner Hochzeit einzuladen und trifft dabei auf eine Elfe, mit der er tanzen soll. Letztlich reitet er, von vielen Messerstichen schwer verletzt, nach Hause, um am Tag nach seiner Hochzeit zu sterben wie grausam, aber dennoch sehr lieblich vorgetragen. Ich wusste bisher nicht, dass norwegischer Humor dem schwarzen englischen in keiner Weise nachsteht. Auch das „Schlaflied für eine Großmutter“ hat mich in seiner schlichten Art sehr berührt und es hat zum Glück eine friedfertige Botschaft. Mich fasziniert eine ganze Stunde lang, wie eindringlich und emotional all diese Lieder aus den rauen nordischen Gefilden, aus den Wäldern, Seen und den Sagen Norwegens, klingen, ja wie unaufdringlich schön diese Melodien sind. Man spürt förmlich die Energie, die sie ausstrahlen können, wenn sie von drei so wunderbar miteinander harmonierenden Stimmen vorgetragen werden. Das hat mich sehr überrascht und mitgerissen. Als EPLEMÖYA SONGLAG zum Schluss ihr „Vinndans i Jo'Ansjaløen“ (Der Tanz in einer Bar) für uns anstimmen, erleben wir noch einmal die ganze Bandbreite ihres Könnens. Man meint Elfen und Trolle singen und spielen zu hören. Manchmal klingen alle drei Stimmen wie ein zierliches Glockespiel: Trolle spielen auf ihrer Fiddle und die Tanzenden geraten in Trance, aus dem sie sich erst befreien können, wenn sich jemand findet, der die Saiten der Fiddle zerschneidet. Ihre Stimmen klingen dabei wie Instrumente, man kann den wilden Zustand der Tänzer nachfühlen und sich dem verführerischen Klang der Troll-Musik hingeben. So viel Begeisterung nach diesem Vortrag kommt wohl in den alten Mauern des Gotteshauses eher selten vor. Immerhin erklatschen wir uns mit Ut i Skogen“ (In den Wald) noch eine Zugabe. Zum Schluss also eine Sage, die uns Menschen zeigt, dass der „böse Wolf“ wohl eher ein Geschöpf mit ausgeprägtem Mutterinstinkt ist, als das, was uns so mancher Bösewicht hierzulande neu einzureden versucht. Für diesen Song bin ich ganz besonders dankbar. Eine Schublade habe ich nicht gefunden, für die Musik von EPLEMÖYA SONGLAG, dafür aber drei sehr freundliche hochkarätige Künstlerinnen, die mit ihrem Gesang viel Herz, Vergnügen und Freundlichkeit vermitteln können. Frei von allem schmückendem Beiwerk darf man die schlichte Power begnadeter Sängerinnen erleben. Für mich selbst ist das Folk in seiner urbanen und modernen Form. Der Zufall und die Umstände haben es mir gestattet, eines ihrer Konzerte erleben zu dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar und auch für das angenehme Gespräch danach. Ich glaube, ich werde jetzt etwas achtsamer mit mir umgehen, um bald wieder ein solch wunderschönes und heilendes Konzert erleben zu können.