Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Epiphany 3 Project live in den Goslarschen Höfen 01.03.2018 Manchmal wünsche ich mir, mein Vater wäre noch einmal hier und könnte miterleben, was aus meiner kleinen aber leidenschaftlichen Begeisterung für Beat-Musik inzwischen geworden ist. Er würde meine durchaus exquisite Schallplattensammlung bewundern, meine Ordner voller Autogrammkarten und die Truhe mit seltenen Postern bestaunen und er könnte in meinem kleinen Buch blättern. Ich würde ihm gern beim Lesen zusehen und wie ein markantes Lächeln sein Gesicht verändert. Vielleicht würde ich ihn nicht einmal zu dem Konzert der Hollies in Magdeburg überreden müssen, damit er endlich „Sorry Suzanne“ live miterleben könnte. Solche Gedanken rammeln mir durch den Kopf, während ich hinüber nach Goslar fahre, um mit meinem Sohn gemeinsam in den Goslarschen Höfen eines der Konzerte vom EPIPHANY PROJECT zu erleben. Ich habe ihn vor ein paar Tagen gefragt, ob er Lust dazu hätte und dann hat er uns einfach Karten besorgt. Dieses Konzert wird ein ganz besonderer Leckerbissen werden, aber vor allem soll der Abend ein weiteres kleines Puzzleteil für ein viel größeres Mosaikbild werden, mit dem er sich in späteren Jahren an gemeinsam verbrachte schöne Stunden erinnern soll. So wie ich es mit meinem Vater, seinem Opa, erleben durfte. Erinnerungen als ein Bindegliede über Generationen hinweg, das ist, neben dem Konzertbesuch, mein eigentliches Anliegen. Auf BET WILLIAMS wurde ich 2012 zum ersten Mal aufmerksam, als sie gemeinsam mit Elisabeth Lee in der Kulturbastion von Torgau ein Open Air–Konzert spielte. Mich begeisterten ihre wandlungsfähige Stimme und das Spiel des Pianisten JOHN HODIAN am rechten Bühnenrand. Schon zwei Jahre später zog es mich noch einmal nach Torgau, als BET WILLIAMS und ihre Band ein eher intimes Clubkonzert gaben. Eine gute Chance, die Künstler aus nächster Nähe zu erleben. Wieder war es diese Faszination der Vier-Oktaven-Stimme sowie das frei fließende, an der Klassik und am Jazz orientierte Piano-Spiel des Künstlers mit den armenischen Wurzeln, die mich begeisterten. Als vor zwei Jahren eine Anfrage eintraf, mich an einem Growdfunding-Project der Beiden zu beteiligen, war ich dabei und bekam mit „Songs Of Exile“ (2016) ein wunderbares Ergebnis zurück in meine Hände. Das NAGHASH ENSEMBLE singt alte Texte eines armenischen Dichters aus dem 15. Jahrhundert, die JOHN HODIAN musikalisch in die heutige Zeit transformiert hat. Ein ungemein reizvolles und attraktives Tondokument, das sich jeglichen Spartendenkens elegant entzieht und neue Hörgewohnheiten erschließt. Es war also nur eine Frage der Zeit und des passenden Ortes, beide Künstler wieder live zu erleben. Die Goslarschen Höfe scheinen an diesem bitterkalten Spätwinterabend wie geschaffen dafür. Alle Fotos dieser Seite kann man durch Anklicken vergrößern. Diese unscheinbare Einrichtung, versteckt hinter der Verkehrshektik der Einfallstraßen, beherbergt ein soziales Projekt der Stadt, ein Zeichen gegen unsere Wegwerf“Kultur“ und für zwischenmenschliches Miteinander in nicht nur wetterbedingt eiskalten Zeiten. Ausstellungen, Lesungen und Musik gehören ganz selbstverständlich dazu und deshalb füllt sich das kleine HofCafè auch ziemlich schnell. Hier wird es jetzt eng und gemütlich, genau die richtige Atmosphäre für ein intensives Musikerlebnis besonderer Art. Dann steht sie da vorn. Eine fahle Wand als Hintergrund sowie flankiert von JOHN HODIAN, rechts an den Tasten, und Sohn JACK, links hinter dem Drum-Set. Wie aus dem Nichts nähert sich ihre Stimme dem Mikrofon, ehe sie selbst davor steht und vom „Poet And The Revolution“ singt. Mitten im kalten Winter schmeicheln warme Pianoklänge und zärtlich lockende Töne meine Ohren. Die Melodie steigert sich und die schlanke Lady da vorn nimmt uns mit auf eine Reise „to the squares, through the doors, follow him“ und die Klänge der Tasten fallen wie Perlen auf den Boden zu unseren Füßen. Danach ist einen Wimpernschlag lang Stille im Raum, ehe der erste Beifall aufbraust. Wenig später wird es rockig. Aus den Gitarrensaiten knallt rhythmischer Blues & Funk, JOHN HODIAN entlockt seinen Tasten Rhythm & Soul und Sohn JACK HODIAN ist mit seinen erst 14 Lenzen der coole Motor für einen Trip um den Globus. „Me Geopraphy“ - von Amsterdam und Birmingham nach Bengla Desh bis MaraKesh, über Ozeane und Grenzen. Zwischendurch kommt uns das Trio orientalisch mit „Bolore Kes“ und zum ersten Mal lässt BET WILLIAMS ihren vier Oktaven in den Stimmbändern freien Lauf. Irgendwie erinnert sie mich dabei entfernt an die frühe Kate Bush. Die fremde Rhythmik und die Sprache einer anderen Kultur wirken wie ein Magnet auf mich, ziehen mich in ihren Bann und innerlich weiß ich plötzlich, dass ich heute genau hier sein musste, mit meinem Sohn neben mir, um mich wohl und mitgenommen zu fühlen – durch die Kraft der Musik. Nur manchmal kommt mir der Gedanke, dass dieses Trio EPIPHANY 3 nichts anderes als eine Familie ist, die musiziert. Ich kann einen liebevollen Blick der singenden Mutter zum Sohn entdecken und den dezenten Hinweis des Vaters, das Mikrofon zu fixieren. Doch eigentlich sind diese Ausnahmekünstler traumhaft sicher aufeinander eingespielt. Sie verstehen sich blind und führen uns mit den Briefen von „Abigail“ und Geschichten von „New Jerusalem“ in vergangene Zeiten oder entfernte Welten und sie vermitteln uns den Klang von historischer Poesie aus Armenien. Die Stimme von BET WILLIAMS wird zum Instrument und vollführt einen Spagat vom Kunstlied über Folk hin zum Jazz, einem Notenblatt in der Hand, um sich zu orientieren. Man kann förmlich ahnen, wie in den Stuhlreihen Kinnladen nach unten klappen und das große Staunen geübt wird. Nein, es muss nicht immer die blanke Urgewalt von praller Rockmusik sein, auch der urbane Klang einer Stimme kann viele Emotionen in die Magengrube und Tränen in die Augen treiben. Ich habe es selbst erlebt! Minuten später zelebriert sie genau so sicher den Blues mit „Engine #9“, wobei JOHN den Boogie in die Tasten hämmert. Beinahe verträumt singt sie von „Thunder & Stone“ und in ihrem Gesicht kann man jede noch so kleine Nuance nachvollziehen. Doch das eigentliche Stimmwunder, zumindest für mich, offenbart sie wieder mit der gesungenen Predigt „Ashem“, womit sie mich auch diesmal wieder in ihren Bann ziehen kann. Für mich ist dieses kleine Kunstwerk auch heute der absolute Höhepunkt des Abends. Sie lässt ihre Stimme einfach über den fließenden Pianoläufen schweben und nimmt mich mit. Zum Wegträumen schön und dennoch ekstatisch mitreißend. Dieses Weib ist eine Extraklasse für sich allein! Sie flüstert, sie jubelt und sie lotet die Möglichkeiten ihrer vier Oktaven in allen möglichen Klangfarben bis zur Neige aus. In ihrer Art zu interpretieren und zu gestalten, ist sie sicher unerreicht und als EPIPHANY PROJECT sind sie noch immer ein Geheimtipp für Musikkenner und Genießer. Zum Ausklang des Konzertabends in den Goslarschen Höfen bekommen wir eine zweite Kostprobe aus dem Repertoire des armenischen Naghash Ensembles geboten. Bei den „Lamentations For The Dead“, einem Gespräch mit Gott, schweben wieder orientalische Klänge voll eigenartiger Schönheit im Raum, begeistert uns wieder das harmonische Zusammenspiel des Familien-Trios. Nur mit Piano, Schlagzeug und Stimme ausgestattet, erleben wir Musikgenuss jenseits jeglicher Einordnungen, einfach nur puren warmen Klang, während vor den Glasscheiben nicht nur die Minusgrade unsere Welt erstarren lassen wollen. Da ist es gut, einen geselligen Platz mit viel menschlicher Wärme zu finden. Mir tut es gut, den eigenen Sohn an der Seite zu wissen und deutlich zu spüren, dass es ihn auch gepackt hat. Es tut gut, so aufgeladen das Leben wieder neu erobern zu können. Eine Welt ohne Musik wäre eine Welt ohne Liebe und Wärme. Thank you so much Bet, John & Jack - danke dem HofCafè der Goslarschen Höfe, großen Dank Euch für so viel Warmherzigkeit und aufrichtige Nähe in kalten Jahres- und Menschenzeiten.