Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ein Stück vom Himmel – Emmylou Harris in live Berlin 08.06.2011 Sie ist ein Juwel am Rock- und Country-Himmel und sie fasziniert mich, seit ich Anfang der 1970er Jahre meine leise Begeisterung für GRAM PARSONS entdeckt hatte. Parsons war jener Gitarrist der legendären BYRDS, der versucht hatte, die Band auf den Country & Western Pfad zu locken und auf diese Weise das erste Country-Rock-Album der Rock-Ära, „Sweetheart Of The Rodeo“ (1968), mit auf den Weg brachte. Kurz danach stieg er wieder aus, um gemeinsam mit dem anderen Byrd, Chris Hillmann, die Flying Burrito Brothers zu gründen. Das Album „The Guilded Palace Of Sin“ (1969) wies den Weg, wohin die Reise gehen sollte, die er mit den beiden grandiosen Solo-Scheiben „G.P.“ (1972) und „Grievous Angel“ (1973) fortsetzte. In seiner Tourband, die das Material beider Platten live präsentierte, sang eine damals noch unbekannte junge Dame namens EMMYLOU HARRIS. Im September 1973 starb Parsons erst 26jährig unter Drogen- und Alkoholeinfluss. Die Rock-Welt hatte eine Legende mehr und Emmylou Harris veröffentliche auf ihrem zweiten Solo-Album „Pieces Of the Sky“ (etwa: Teile vom Himmel / 1975) den Song „Boulder To Birmingham“ und widmete ihn ihrem Mentor Gram Parsons, um ihm ein musikalisches Denkmal für die Ewigkeit zu setzen. Dass dies der Beginn einer unvergleichlichen Karriere werden sollte, ahnte sie damals wohl selbst noch nicht und es scheint mir so, als wolle Emmylou Harris seither das Erbe dieses Ausnahmemusikers pflegen, indem sie sich immer mal wieder aus dem Erlebten jener Zeit inspirieren lässt. Dabei hat sie sich, so ganz nebenbei, selbst zu der Künstlerin gemacht, was sie heute ist: Eine stilvolle und einzigartige Interpretin, eine Ausnahmeerscheinung im Business und eine Sängerin mit faszinierenden Ausstrahlung und filigraner Phrasierung - EMMYLOU HARRIS eben. Ich hatte schon lange den Wunsch, diese mitunter zerbrechlich wirkende Stimme, den leisen Hauch des vermeintlich letzten Tones in vielen ihrer wunderschönen Songs, einmal live zu erleben. Für so ein Erlebnis setzt sich ein verhinderter Bahnreisender wie ich auch schon mal in einen Regionalzug nach Berlin, inklusive Fanfare und Bewegungsanleitungen für Bahnkunden. Jetzt weiß ich auch wieder, dass man in Richtung Bahnsteig aussteigen sollte. Beim Umsteigen im Berliner Hauptbahnhof kam mir unwillkürlich „In The Year 2525“ von Zager & Evans in den Sinn, in dem „from the bottom of a long glass tube“ gesungen wird, wie in einer riesigen Verlade- und Sortierstation für Menschen. Mag sein, dass so etwas modern und praktisch ist, aber leider auch hektisch ansteckend und furchtbar unterkühlt bzw. gefühl- und seelenlos für Großstadtfremde ebenso. Ich hasse es! Im Admiralspalast war ich das erste Mal, als der noch Metropol-Theater hieß und ich die Jugendweihe noch vor mir hatte. Damals stand „Die lustige Witwe“ von Franz Lehar auf dem Programm und der Besuch war einer kollektiven Entscheidung zur musischen Bildung zu verdanken. Von der „Lustigen Witwe“ bis zur „Schönheitskönigin des Country & Folk“ brauchte es einen langen Weg der musikalischen Erfahrungen, ohne die ich 50 Jahre später den Weg in den Admiralspalast nicht gefunden hätte. Wer sagt denn, dass Musik nicht auch bilden kann? Man muss nur die richtige zu hören bekommen! An einem Mini-Stand im Foyer steht ein junger Typ vor einem Poster der Lady und ihn frage ich, ob denn nach dem Konzert er lächelt mich freundlich an und verneint. Eine halbe Stunde später steht er, begleitet von einem weiteren Musiker, auf der Bühne des Hauses, um mit einigen seiner eigenen Songs den Abend zu eröffnen. SIMON LYNGE kommt aus Grönland und seine Lieder aus dem Album „The Future“ klingen manchmal wie der frühe Donovan, ebenso mystisch entrückt und auch ein wenig traurig, als wäre er auch am Hauptbahnhof umgestiegen. Seine Version des Uralt- Klassikers „Dock Of The Bay“ von Otis Redding kam allerdings ebenso ziemlich frech und spritzig daher, wie auch seine verbindenden Worte über seine Heimat Greenland. „I’m an Eskimo“, meinte er. Die Distanz von dieser Musik zu den ersten Tönen der RED DIRT BOYS war vielleicht bewusst kalkuliert, denn die Band setzt sofort auf ein Hörgefühl, dass man unweigerlich mit einem Honky-Tonk-Saloon in Verbindung bringt. Mit den ersten Klängen von „Six White Cadillacs“ betritt mit einem strahlenden Lächeln und tänzelnden Schrittes EMMY, wie sie von ihren Fans liebevoll genannt wird, die Bühne. Beinahe meint man die Aura um sie sehen zu können, während da vorn mit diesem Song das aktuelle Album „Hard Bargain“ angespielt wird. Mir ist in diesen ersten Minuten, als würde so etwas wie Zeit gerade nicht wichtig sein. Eine kompakt und relaxt aufspielende Band, über deren Sound der Klang einer Stimme mal leise hauchend und dann wieder schneidend scharf im Oval schwebt, fesselt mich von Beginn an und wie von selbst ergibt sich eine gesungene Reise der Erinnerungen. Ich genieße so manchen Klassiker wie „If I Needed You“, zwischen die sie ab und an einen Song des aktuellen Albums, „Home Sweet Home“, einfügt. Die Band RED DIRT BOYS, alles wirklich absolute Könner, musiziert mit einer derartigen Perfektion, dass es beinahe lupenrein klingen könnte, wären da nicht genau in solchen Momenten die Blicke zurück und die sehr persönlichen Worte der Künstlerin, die sie für ihre Eltern, für Freunde oder Wegbegleiter und natürlich für Gram Parsons findet. Dann steht sie ganz allein mit ihrer Gitarre da vorn und ihre Stimme, die ein Zauberer in einem Wonnemoment für sie gemacht haben muss, berührt jeden einzelnen im Raum, während sie „Darlin’ Kate“ intoniert oder einfach nur zum Heulen schön „Michelangelo“ singt. An anderer Stelle rutsche ich tief in mich zusammen und lasse mich von Parson’s „Sin City“ durchrieseln, eine der wirklich schönsten Rock-Schnulzen, die je im Rock-Idiom gesungen wurden. Dass es dennoch nicht schnulzig klingt, ist einzig allein der ihr eigenen Art zu danken, diesen 40 Jahre alten Klassiker singend zu erzählen und im nächsten Moment einen meiner aktuellen Lieblingssongs zu spielen. „Shores Of White Sand“ vom 2008er Album „All I Intended To Be“ ist für mich eines ihrer neunen zeitlosen Lieder. Ich könnte heulen vor Glück. In Augenblicken, in denen sie sich vom Mikrofon entfernt, wird sie Teil der Band und dann merkt man ihr auch Spontaneität und Leichtigkeit an, die sie singend wieder hinter ihrer Elfenstimme verschwinden lässt. Nur selten gibt es solistische Einwürfe, die immer stilsicher den Gesamteindruck unterstützen und damit den Star dieses einmaligen Abends. Die reichlich zwei Stunden sind voller Höhepunkte und stimmlicher Glanzlichter. Ihre eigenen Songs beweisen sich neben gefühlvoll interpretierten Songs aus fremder Feder wie „Goin’ Back To Harlan“ und ergänzen sich gegenseitig. Ein paar Reihen vor mir sitzt ein langhaariger Rocker und schräg hinter mir eine Dame im Abendkleid, die ihre liebsten Songs stets mit einem lauten Kreischen kommentiert, während der Rocker einfach nur laut mit den Fingern pfeift, so wie ich auch. Die Stimmung ist kurz vor 23.°° Uhr auf dem Höhepunkt, als auf der Bühne noch einmal kräftig und schnell „Born To Run“ aus älteren Zeiten abgefackelt wird. Dann steht die personifizierte, ewig jugendliche Weiblichkeit da vorn mit einem strahlenden Lächeln und das Auditorium wie aus einem Guss davor, um ihr mit Standing Ovations stürmisch zu danken. Zu zwei weitere Songs lässt sie sich noch erweichen. Danach hat die glasklare Elfenstimme für diesen Abend ihre Töne verschenkt und die „Crowd“ älterer Herrschaften, braver Bürger und treuer Fans zwischen Stola und Jeanshemd bleibt noch einem Moment andächtig klatschend stehen. Momente später hat jeden die Realität wieder fest im Griff. Unsere Gene dirigieren uns zum Ausgang und von da zielsicher, dem Herdentrieb folgend, zu den S-Bahnen, die uns wieder auf digitalen Spuren zu den „long glass tubes“ transportieren. Nur das Gefühl, gerade zwei Stunden Ewigkeit getankt zu haben, hilft mir den Glas- und Metallprotz mit Lichtermeer da draußen, Hauptbahnhof genannt, einfach zu ignorieren. Ich trage jetzt ein „kleines Stück vom Himmel“ im Herzen und den glasklaren Gesang einer Elfe im Ohr. Zumindest bis zum Wochenende bin ich gegen die nächsten Nachrichten aus der Realität immun, EMMYLOU HARRIS sei Dank.