Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Mit East Blues Experience auf Zeitreise - live in Aschersleben 10.04.2015 Support in Aschersleben: Jule Werner & Band Ein alter englischer Bluesmann brachte es mal auf den Punkt, indem er sinngemäß formulierte, dass nirgends auf der Welt der Blues besser verstanden würde, als in Texas und in der DDR. Nun ist dieses kleine Land, zwischen Fichtelberg und Kap Arkona gelegen, längst von der Geschichte eingestampft, so manche lieb gewordene Errungenschaft billig verramscht und vieles einfach untergebuttert oder totgeschwiegen worden. Die Liebe zum Blues aber konnte den trampenden Musikliebhabern letztlich keiner austreiben. Er war Teil unserer ganz besonderen Lebensweise hier, Ost-Blues Erfahrung eben, und ist es bis heute geblieben. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Blues hierzulande ein klein wenig anders klingt, etwas tiefer in den Herzen pulsiert und eben auch so gut verstanden wird. Zwar blickt die EAST BLUES EXPERIENCE nicht auf eine so lange Historie zurück wie Kerth, Engerling oder Monokel, aber die einzelnen Musiker entstammen dem gleichen Schmelztiegel und leben mit dem gleichen Hintergrund, ohne sich von ihm fesseln zu lassen. Ein jeder hat noch einige andere Projekte, in denen er aktiv ist, aber mit EAST BLUES EXPERIENCE sind sie seit 25 Jahren unverwechselbar. Als ich das Trio, mit Adrian Dehn als Gast, im Februar 2011 das erste Mal in Dresden sah, haben sie mich mitgerissen. Der Abend war eine besondere Erfahrung und ich wusste danach, wenn dieses Blues-Trio wieder einmal touren sollte, würde ich für eines ihrer Konzerte dabei sein. Die Zeit ist schneller vergangen, als mir eigentlich lieb sein kann und EAST BLUES EXPERIENCE sind wieder, diesmal mit einer kleinen EP, auf Tour durch die Lande. Ein Zufall bescherte mir eine Karte für den Abend in Aschersleben und wieder einmal verbinde ich das Angenehme, einen Konzertbesuch, mit dem Nützlichen, meine neue Umgebung zu erkunden. Ich fahre in ein kleines verschlafenes Städtchen am Rande des Harz mit verwinkelten Straßen und alten Häuser hinein. Die Spielstätte, das historische Bestehornhaus, befindet sich in zentraler Lage und mein Blechfreund hat einen Stellplatz gleich um die Ecke gefunden. An dem kleinen Platz findet sich auch eine urige Kneipe, um, mit einem Bier auf dem Tisch, auf das Öffnen der Tür gegenüber zu warten. Alles ganz entspannt, alles locker, so wie es hier im Harzvorland Lebensweise scheint. Nichts ist wichtiger, als der Augenblick, die Zigarette, das Bier, das Gespräch im Angesicht des Zapfhahns. Der Abend ist als „Rock’n’Soul meets Blues“ angekündigt. Will heißen, vor der „bluesigen „Erfahrung“ erleben wir eine heimische Soul-Lady namens JULE WERNER mit ihrer Band. Die Dame hat schon einiges „auf dem Kerbholz“, Live- Erfahrungen und Preisträgerin, habe ich mir sagen lassen und so ist meine Neugier nicht eben klein und meine Erwartungen sind groß. Die Band um den Gitarristen und Komponisten WOLFGANG MAIWALD steigt auf das kleine Podest, die kleine Lady hinterher und dann beginnt ein kräftiger Sound den “stilvoll ausgestatteten“ Saal zu füllen. Schwitzender Soul-Rock trifft auf das Ambiente einer Vernissage zur kühlen Moderne - welch krasser Gegensatz! Ein halbdunkler Schuppen wäre mir für diese Stunden lieber. Zu meinem Erstaunen kracht die Band eine zähflüssig soulig klingende Version von „All Along The Watchtower“ zwischen die hellen Wände und uns in die Gesichter. Dermaßen gefühls-wuchtig, von einem Vollweib gesungen, habe ich den Hendrix noch nie gehört. Respekt! Doch JULE WERNER und Band mühen sich um eigene Lieder und haben sich dafür ANDREAS HÄHLE ins Boot geholt, dessen Texte für Fährmann mich beim Hören einer Doppel-CD beeindruckt haben. So etwas ähnliches, nur mit einem gehörigen Schuss mehr Rock’n’Roll zwischen den Stimmbändern, aus denen eine rauchig warme Stimme donnert, begegnet mir hier mit Liedern, die JULE stolz ihre eigenen nennt. Voller Power und mit viel Emotionen bekommen wir eigene Schöpfungen wie „Traumland“ und „Abseits der Gleise“ zu hören, wobei mir letzteres emotional am nächsten kommt. Auch „Fliegen“ ist mir angenehm im Gedächtnis haften geblieben. JULE WERNER hat ganz offensichtlich eine homogen klingende Band um sich versammelt, die es versteht, die ausdrucksstarke Frauenstimme zur Geltung zu bringen und ihr genügend Spielraum zu lassen. Ein klein wenig mehr Offensive und „action“, zumal als Support, hätte ich mir dennoch da vorn gewünscht. Zwar stampfen Bass und Drums zielsicher wie ein Uhrwerk durch die Setlist und die beiden Gitarristen verstehen sich auf das Spiel mit den Saiten, doch einige ruppig-markante solistische Tupfer mehr, hätten das Geschehen erheblich auflockern und spannender machen können, so mein sehr persönlicher Eindruck. Potential steckt in dieser Band im Überfluss und musikalisch interessante Ideen, sowie eine starke Frontfrau, offensichtlich auch. Draußen ist es inzwischen dunkel geworden und der Turm vor der Tür wird jetzt wirkungsvoll mit Licht in Szene gesetzt. Aus dem Fenstern heraus kann man die leeren, aber beleuchteten Straßen sehen. Die braven Bürger sitzen jetzt zu Hause, eber ich freue mich, wie drei leicht ergraute Musikanten und ein Jungspund mit Löwenmähne auf das Podest steigen. Nach 21.°° Uhr ist nun endlich Zeit für neue Erfahrungen in Blues, denn vier Jahre sind eine lange Zeit seit 2011 in der Tante Ju von Dresden. Und schon geht’s los, die ersten Füße wippen im Takt zum Boogie von „Soul Full Of Blues“ und der Mann mit seinem Bass in den Händen tänzelt elegant vor uns auf dem Podest. JÄCKY REZNICEK ist der Spaß im Gesicht abzulesen und PETER SCHMIDT zupft das erste feine Solo aus den Gitarrensaiten, kurzer Break, und schon folgt mit „Knocking At Your Window“ der nächste Boogie um die Ecke. Diesmal ist es der Junge ADRIAN DEHN, der dem Blues mit seiner Gitarre ein Solo entlockt. Die drei stehen in guter alter Manier auf der Rampe nebeneinander und lassen ihre Finger parallel über die Hälse gleiten. Ich stehe davor, genieße es und gebe meinen müden Füßen Order, das Brennen da unten zu ignorieren. Die EAST BLUES EXPERIENCE ist wieder auf Tour und sie hat eine neue EP im Gepäck. Auf dem Mini-Album ist der Opener des Abends zu finden und zum ersten Mal versucht sich PETER SCHMIDT auch in seiner Muttersprache auszudrücken. „Wie lang soll ich warten“ ist eine ironische Geschichte auf ein vertracktes Rhythmusgeflecht gesungen. Nichts künstlich aufgesetztes, das Stück groovt locker dahin und endet mit einem Augenzwinkern. Hintendran gibt’s eine Nummer, die wir schon als „Red Balloon“ vom gleichnamigen Album kennen und auch hier überrascht uns der Mann mit einer überarbeiteten Variante in deutscher Sprache als „Roter Mond“ gesungen. Wer sagt denn, es ginge in Muttersprache nicht auch und die Gitarren klingen trotzdem rotzig und fett genug. Auf dem neuen Silberling kommt man übrigens in den Genuss, sich an beiden Varianten in Einer zu erfreuen. Inzwischen geht es Schlag auf Schlag, abwechslungsreich und druckvoll durch das eigene Repertoire mit „Closer To It“ oder „The Hit Of Blues“ und das inzwischen ebenfalls eingedeutschte „Eben grad“, vorher „Right Away“ aus dem Album „Red Balloon“ (2002). Die Band ist bestens eingespielt und rockt den Vorzeigetempel in Aschersleben-City, dass die Wände schwitzen. Dieser PETER SCHMIDT mit der Gitarre hat schon vor vielen Jahren seinen ganz eigenen effektiven Stil gefunden, mit dem er sein Instrument sehr differenziert beherrscht und sehr amerikanisch dazu singt. Mal lässt er es krachen, als stünden Young’s Crazy Horses auf dem Podest und dann wieder liebevoll singen, als wäre er bei Slow Hand in die Schule gegangen. Mit druckvoller Unterstützung von JÄCKY am Bass, der über den ganzen Abend hinweg einen extra Hingucker nach dem anderen abliefert, und RONNY DEHN hinter seinem kleinen aber feinen Drum-Set, entsteht ein bluesorientierter Sound, der irgendwo zwischen englischer Eleganz, deftigen Boogie Anleihen und dem flirrendem Spiel der Allman Brothers Band angekommen ist und der schlicht und ergreifend in die Beine geht. Hier und da wird dazu getanzt und mir geht es richtig gut in diesem Sound-Gebräu zwischen Boogie Woogie und dem Blues der Südstaaten. Jedoch der eigentliche Knaller ist das Spiel zweier gänzlich unterschiedlicher Gitarren. Auf der einen Seite der abgekochte und erfahrene Senior PETER SCHMIDT, der schon längst in seiner eigenen Liga agiert, und auf der anderen der impulsive Jungspund ADRIAN DEHN, der, wenn er von der Leine gelassen wird, förmlich zu explodieren scheint und kaum zu bremsen ist. Wenn dann beide als Twin-Guitars im Stil von Wishbone Ash synchron in die Saiten greifen, bleibt nur noch, staunend davor zu stehen und die Augenblicke zu genießen. Das gibt selbst die beste CD nicht mehr her, sondern ist wirklich nur als Faszination auf der Bühne und während so einer bluesgezupften Zeitreise live zu erleben. Immer mal wieder kann man im Spiel der Beiden Fragmente großer Vorbilder wie Clapton, Curvitz und Ray Vaughan entdecken und natürlich huldigt PETER SCHMIDT den Urvätern des Blues auch live auf der Bühne. Dies tut er mit Klassikern wie „Robert Johnston“, das er sehr dicht vom Original inspiriert präsentiert, und mit dem knackigen „Hoochie Coochie Man“, durch den er aus dem Zugabenteil eine zündende Party von alten Rockern macht. Da strahlen die Männergesichter und die weiblichen Körper zucken in den Hüften zum Rock’n’Roll, während JÄCKY „den, der mit dem Bass tanzt“ gibt, weitab der inzwischen kühlen Silly-Eleganz. Ein ganz besonderer Leckerbissen, jedenfalls für meinen Geschmack, ist der Titelsong der neuen EP „Der Tag“, der sehr einfühlsam, zurückhaltend und dennoch ungemein dynamisch die bedrohliche Situation hier auf diesem Planeten beschreibt und den Inhalt in einen balladesken Blues gießt. Damit ist SCHMIDT ein genialer Wurf gelungen. Sicher wird dieser Song weder im Radio, noch Fernsehen oder sonst wo aufschlagen, aber dort, wo die EAST BLUES EXPERIENCE ihn spielt oder wo die CD sich im Player dreht, wird „Der Tag“ die Herzen erreichen und für Nachdenklichkeit sorgen. Da bin ich mir sicher. Draußen hat die Mitternachtsstunde längst geschlagen und hier drinnen verbeugen sich vier Altrocker und ein Young-Star vor ihrem Publikum, das eigentlich noch nicht genug hat. Nur meine Füße hupen laut Alarm zum Hirn, aber das hört zum Glück keiner. Die EAST BLUES EXPERIENCE ist unterwegs im Lande mit einer Zeitreise und wo die „Blues-Erfahrungen des Ostens“ rocken, ist schwitzen beim Spiel von zwei Heißblut - Gitarristen, Schmidt und Dehn Junior, und einer explodierenden Rhythmusgruppe, Reznicek plus Dehn Senior, angesagt und niemand wird sich dieser Faszination entziehen können. PETER SCHMIDT ist zwar nicht im feuchtheißen Flussdelta des Mississippi im Süden der USA geboren, sondern in dieser einstigen DDR, in der Unterkühlung mecklenburgischer Weite, aber den Blues spielt er so intensiv und beseelt, wie all die anderen, die hier auch ihre Wurzeln haben. Genau deshalb sind sie auch authentisch in dem, was sie zu sagen haben, ebenso wie wir, die wir ihren Bluesgeschichten verstehen und ihnen zuhören.