Zu spät, um aufzuhören - The Dubliners live in Dresden
27.11.2010
Es
gibt
Musik,
die
ich
wirklich
liebe,
die
tief
nach
innen
geht.
Ich
liebe
es
schottisch,
ich
liebe
es
irisch
und
ich
mag
Halbtonfolgen
und
gewagte
Melodiebögen,
die
nicht
auf
vier
Viertel
angehopst
kommen.
Diese
ganz
eigenständigen,
indigen
Folk-Klänge
sind
so
etwas
wie
der
weiße
Blues
und
wenn
Musiker
diese
Ton-
und
Rhythmusfolgen
mit
Rockmusik
kombinieren,
wird
es
richtig
interessant.
Aber
auch
der
Blick
zurück
zu
den
Wurzeln,
offenbart
erstaunliche
Erkenntnisse.
Plötzlich
wird
einem
klar,
warum
das
alles
zusammen
der
morbiden
Schlagerwelt
locker
Paroli
bieten,
Rockmusik veredeln und einen Schub Adrenalin auslösen kann.
Die
vielleicht
berühmtesten
Vertreter
dieser
Musizierweise
sind
die
1962
als
Ronnie
Drew
Ballad
Group
in
Dublin
formierten
DUBLINERS,
die
damals
noch
überwiegend
nur
Gälischen
Balladen
sangen.
Über
viele
Jahrzehnte
verkörperten
sie
in
wechselnden
Besetzungen
eine
Spielart,
die
später
von
Bands
wie
den
Chieftains,
den
Pogues,
Clannad
oder
Künstlern
wie
Enya,
Moya
Brennan
und
Lorena
McKenneth
zeitgemäßer
fortgesetzt
wurde.
Sie
alle
waren
und
sind
auf
Einflüsse
wie
Rock’n’Roll,
Blues
oder
Soul
nicht
angewiesen.
Irish
Folk
Music
ist
selbst
eine
der
urbanen
Wurzeln
unter
dem
Baum
der
modernen
Rockmusik.
Hat
man
erst
einmal
den
Virus
dieser
Musik
entweder
im
Blut
oder
im
Herzen,
wird
man
ihn
ein
Leben
lang
nicht
mehr
los.
Plötzlich
fühlt
man,
warum
Textzeilen
wie
„An
der
Nordseeküste“
bei
vielen
das
Gefühl
auslösen,
sie
würden
diese
Lieder
schon
ewig
kennen.
Die
DUBLINERS
machten
die
alte
Volksweise
„The
Wild
Rover“
schon
viel
früher
zu
einem
fröhlichen
Kneipen-
und
Sauflied.
Die
Magie
solcher
Melodien
wirkt
überall
und
wird
in
beinahe
allen
Sprachen
in
fröhliche
Ausgelassenheit
und
harmonisches,
friedliches
Miteinander
übersetzt
und
Melodien
wie
die
von
„Molly
Malone“
spiegeln
das
Leben
der
einfachen
Menschen.
Sie
erkennen sich in den wunderschönen Balladen, wie die vom „Black Velvet Band“ wieder.
Die
DUBLINERS
sind
in
diesem
Jahr,
wie
so
oft,
auf
Tour,
aber
es
bleibt
die
Frage,
wie
oft
noch.
Auch
wenn
sie
seit
5
Jahren
unter
dem
Motto
„
It’s
too
late
to
stop
now“
(Es
ist
zu
spät,
jetzt
aufzuhören)
steht,
die
Zeit
geht
auch
an
ihnen
nicht
vorüber.
So
manche
prägende
Stimme,
wie
die
von
grauen
Rauschebart
und
Gründungsmitglied
RONNIE
DREW,
fehlt
inzwischen.
Diese
Stimme,
die
klingt
„als
würde
Kohle
unter
der
Tür
zermalmt“,
war
so
etwas
wie
eines
der
Markenzeichen
der
DUBLINERS
und
wenn
er
fehlt,
dann
fehlt
eben
ein
Teil
und
eine
Klangfarbe
unwiderruflich.
So
konnte
mein
Entschluss
nur
sein,
diesmal
oder
nie,
denn
ich
hatte
schon
viel
zu
lange
auf
einen
passenden
Termin
gewartet.
Wenigstens
ein
einziges
Mal
im
Leben
die
Faszination
von
„The
Rare
Old
Times“,
die
Melancholie
der
„Molly
Malone“
und
die
Urwüchsigkeit
vom
„Irish
Rover“
live
zu
erleben,
das
wäre
beinahe,
als
ob
die
Beatles
für
zwei
Stunden
gemeinsam auf der Bühne würden.
Schon
zwei
Stunden
vor
Konzertbeginn
stehe
ich
am
Hintereingang
des
Kulturpalastes
Dresden.
Eine
überaus
nette
Fee
des
Hauses
hatte
mir
am
Telefon
geflüstert,
wann
ungefähr
die
Herren
eintreffen
könnten.
Auch
ein
Poster
hatte
sie
extra
für
mich
hinterlegen
lassen.
DANKE,
liebe
Fee,
das
war
eine
schöne
Bescherung
vier
Wochen
vor
dem
Fest
und
ein
Glück,
einige
der
DUBLINERS
vor
dem
Konzert
abzupassen.
Im
großen
Saal
des
Hauses
findet
derweil
ein
Treffen
der
Generationen
und
Garderoben,
von
Jeans
bis
feiner
Seide,
statt.
Eine
Reihe
vor
mir
sitzt
ein
Dubliners-Junkie,
in
dessen
freundlichem
Aufgeregtsein
ich
mich
selbst
wiedererkenne,
während
sich
Junior
neben
mir
mal
wieder
köstlich
über
seinen
Alten,
der
seine
Emotionen
nicht
mehr
verbergen
kann,
amüsiert.
Da
sitzen
wir
also
und
haben
nichts
Besseres
zu
tun,
als
auf
fünf
graubärtige
Männer
von
der
grünen
Insel
zu
warten,
von
denen
ab
morgen
kaum
einer,
bis
auf
den
Gast, unter 70 ist. So viel zum Thema Legenden!
Doch
dann
sind
sie
da.
Die
Herren,
die
mir
vor
knapp
einer
Stunde
noch
gegenüber
standen,
nehmen
ihre
Instrumente
und
entführen
uns
in
das
unendlich
weite
Folk-Universum
der
Irischen
Insel,
dorthin,
wo
der
Irish-Folk
aus
Quellen
zwischen
sattem
Grün
sprudelt
und
die
Melodien
und
Rhythmen
der
Jigs
&
Reels
vom
rauen
Wind
von
Küste
zu
Küste
geweht
werden.
Mit
so
einer
alten
Melodie,
getragen
von
Fiddle,
Banjo
und
Gitarren,
beginnt
die
Reise
und
ob
ich
will
oder
nicht,
in
diesem
Moment
sind
meine
Gedanken
auf
den
Schottischen
Inseln,
in
Kirkwall
bei
meinem
Freund
DAVID,
mit
dem
gemeinsam
ich
die
Melodie
von
„Banks
Of
The
Roses“
leise
mitsumme.
SEAN
CANNON,
der
Mann
mit
der
glasklaren
Stimme
und
dem
trockenen
Humor,
kündet
einen
„Song
über
Männer,
Frauen
und
Trinken“.
Es
geht
um
einen
Mann,
der
von
seiner
Freundin
ein
Ultimatum
gestellt
bekommt,
entweder
Trinken
oder
sie
und
er
entscheidet
sich,
wie
wohl
sonst,
für
das
Trinken.
Wir
sind
mitten
im
Leben,
bei
der
Liebe
und
den
Frauen.
Das
Auditorium
jubelt
voller
Begeisterung,
die
sich
mit
„Black
Velvet
Band“
(Das
schwarze
Samtband)
ungebremst
fortsetzt:
„…
and
her
hair
hung
over her shoulder, tied up with a black velvet band.“
So
mancher
im
Saal
mag
sich
an
Manne
Krugs
„Flaschenzug“
erinnert
haben,
als
SEAN
mit
schwarzem
trockenem
Humor
die
Irische
Variante
gesungen
zum
Besten
gibt.
Genüsslich
zelebriert
der
Mann
da
oben
jede
Strophe
und
kann
sich
selbst
kaum
das
Lachen
verkneifen,
als
er
Strophe
für
Strophe
einen
Krankenschein
der
besonderen
Art
besingt.
Allein um das einmal live erleben zu können, lohnt es sich, nach Dresden zu fahren
Wer
kennt
nicht
die
alte
Seefahrer-Melodie
„Rolling
Home“,
die
in
jeder
kleinen
Hafenkneipe
zu
Hause
ist.
Die
DUBLINERS
lassen
diese
ursprüngliche
und
urwüchsige
Melodie
erklingen,
die
in
ihrer
rauen
Ungeschliffenheit,
weit
weg
von
seichter
Volkstümelei,
erst
wirklich
zu
funkeln
beginnt.
Ein
funkelnder
Diamant
ganz
besonderer
Art
ist
auch
Urgestein
BARNEY
McKENNA.
Der
Mann
gilt
als
der
wohl
beste
Banjo-Spieler
auf
den
irischen
Inseln
und
seine
Stimme
ist
wahrscheinlich
das
Echo
der
Brandungen,
die
an
die
felsigen
Steilküsten
der
Inseln
schlagen.
BARNEY,
dessen
kranker
Körper
schon
seit
Jahren
STOP
zu
sagen
versucht,
dessen
Seele
eines
Vollblutmusikers
und
Herz
eines
weisen
Mannes
uns
alle
mit
warmen
Worten
und
einem
lebensfrohen
Lachen
berührt,
versprüht
dann
mit
„South
Australia“
eine
Ladung
purer
Lebensfreude,
von
der
nur
die
Nichtkenner
überrascht
sein
können.
Dieser
ruppige
a
capella–Gesang
reißt
uns
immer
wieder
zu
Lachsalven
hin,
wenn
er
den
Text
mal
eben
so,
aus
purer
Lust
an
der
Freude,
neu
interpretiert.
Dabei
kann
er
sich
auch
einen
bissigen
Seitenhieb
in
Richtung
Weltpolitik
nicht
verkneifen.
Das
macht
den
bärtigen
Publikumsliebling
gleich
noch
sympathischer.
Mit
dem
nachfolgenden
Banjo-Solo
demonstriert
er
seine
instrumentalen
Fertigkeiten.
Wie
dieser
Typ
mit
seinen
Fingern
über
die
Banja-Saiten
tänzelt
und
im
Blackmore’s
–
Style
die
Läufe
auch
gleich
mal
von
oben
über
den
Hals
spielt,
muss
man
gesehen
haben,
um
es
glauben
zu
können!
Er
steigert
sich
wie
in
einen
Rausch
hinein,
lässt
sich
von
Fiddle
und
Gitarre
treiben
und
wird
danach
auf
einer
Woge
der
Begeisterung
euphorisch
gefeiert.
Mit
der
betörenden
Melodie
von
„Avondale“
und
der
romantischen
Stimme
von
PADDY
REILLY,
als
Gast
für
den
erkrankten
PATSY
WATCHORN,
kehrt
dann
wieder
etwas
Ruhe
ein.
Ich
lasse
mich
einfangen
und
träume
mich wieder weit weg an jenen Ort, wo ich noch nie war und auch nicht weiß, ob ich je dort sein werde.
Die
zweite
Ladung
eher
unbekannter
Folk-Songs
gibt’s
nach
der
Pause,
darunter
auch
neuere
Weisen,
wie
die
von
Tommy
Sands.
„When
The
Boys
Come
Rolling
Home“
(1992)
besingt
die
leise
Sehnsucht,
die
so
manchen
Weltenbummler
in
der
Ferne
nach
heimatlichen
Gefilden
überkommt.
Während
dieser
Song
sehr
stimmungsvoll
und
fröhlich
klingt,
geht
BARNEY’s
Ballade
„I
Wish
I
Had
Someone
To
Love“
ganz
tief
ins
Herz
und
weit
unter
die
Haut.
Er
ganz
allein
vor
dem
Mikro
stehend
und
JOHN
SHEAHAN,
daneben
auf
einem
Stuhl
sitzend
und
eine
leise
Geige
spielend,
besingt
er
mit
kratzig
zerbrechlicher
Stimme,
an
deren
Art
zu
singen
höchstens
noch
Joe
Cocker
ran
kommt,
die
Sehnsucht
nach
Liebe
und
Geborgenheit.
Das
ist
Gänsehaut
pur
sowie
die
blanke
Offenbarung
von
einem
lustvoll
gelebten Leben eines Musikers, von dem wir zu hören bekommen. Thank you so much, Barney!
Je
mehr
sich
der
Abend
seinem
Ende
nähert,
umso
bekannter
werden
die
Lieder,
die
wir
jetzt
hören.
Nachdem
BARNEY
mit
dem
„Zerrwanst“
noch
ein
paar
„Reels“
gezaubert
hat,
folgt
die
Drohung,
jetzt
endlich
einen
Song
von
Metallica
spielen
zu
wollen.
Jetzt
reißt
es
bei
den
ersten
Tönen
von
„Whisky
In
The
Jar“
die
ersten
aus
ihren
Klappstühlen.
Die
Dubliner-Party
beginnt
spätestens
jetzt
und
sie
endet
erst,
nachdem
auch
der
unkaputtbare
„Wild
Rover“
verklungen
und
das
rhythmische
Klatschen
verhallt
sind
sowie
hunderte
von
trampelnden
Füßen
und
gellende
Pfiffe
eine
Zugabe
gefordert
haben.
Na
klar
warten
wir
alle
auf
„Molly
Malone“,
um
den
Abschiedsschmerz
mit
einer
Träne
im
Augenwinkel
richtig
auskosten
zu
können.
Doch
die
alten
Schlawiner
da
oben
üb
ergehen
diesen
Wunsch
und
überraschen
uns
mit
„Will
You
Go
Lassie,
Go“
aus
den
frühen
50er
Jahren
a
capella
gesungen,
was
eigentlich
noch
viel
schlimmer
ist.
Mir
steckt,
wenigstens
für
einen
Moment,
nach
stillen
Tränen
voller
Erinnerungen
und
auch
wegen
der
aufkommenden
Gewissheit, so etwas im schlimmsten Falle nie wieder so und live erleben zu können, ein dicker Kloß im Hals:
If my true love she were gone
I will surely find another
Where the wild mountain thyme
Grows around the blooming heather.
Ein
jeder
hat
so
ein
kleines
Beatlechen
auf
dieser
Erde,
das
er
liebt
und
verehrt.
Eines
davon
heißt
bei
mir
DUBLINERS
und
ich
meine
damit
noch
immer
die
schlichte
und
ungekünstelte
ehrliche
Art,
Musik
zu
machen,
Worte
und
Töne
so
miteinander
zu
verweben,
dass
sie
Herzen
bewegen
und
viele
Seelen
berühren
können.
In
der
plärrenden
Welt
des
hektischen
Konsumierens,
der
oberflächlichen
Reize
und
stumpfen
Worte,
tun
leise
Töne,
zumal
in
der
Vorweihnachtszeit,
gut
und
lassen
uns
ein
wenig
zu
uns
selbst
finden,
wenn
wir
es
zulassen.
Wenigstens
für
die
Dauer
eines
Konzertabends
und
für
ein
paar
tausend
Herzschläge
zu
fühlen,
dass
nichts
schöner
ist,
als
singend
Menschen
aneinander
zu
binden,
Brücken
zu
schlagen,
statt
Schläge
zu
verteilen,
kann
mehr
Gewinn
sein,
als
Kapital
uns
je
zu
geben
vermag.
Das
Zauberwort
heißt
LEBENSFREUDE
oder
LIEBE,
so
blöd
und
simpel
das
auch
klingen
mag.
Um
das
zu
erkennen,
sollte
man
nicht
erst
alt
werden
müssen
und
es
sollte
vielleicht
auch
nicht
erst
in
der
Weihnachtszeit
geschehen.
DANKE
den
netten
Leuten,
die
mir
zum
60.
Geburtstag
die
Möglichkeit
schenkten,
dieses
Konzert
der
DUBLINERS besuchen zu können.
Nachtrag 2018:
Nach
dem
Konzert
habe
ich
mit
einem
anderen
Fan
am
Hinterausgang
gewartet.
Ich
wollte
unbedingt
noch
Barney
McKenny
erwischen,
um
ihn
um
ein
Autogramm
zu
bitten.
Es
hat
lange
gedauert
und
ich
war
längst
allein,
wollte
ebenfalls
gehen.
Als
ich
an
einer
Seitentür
vorüber
ging,
öffnete
sich
diese
und
der
Künstler
kam
in
Begleitung
heraus.
Es
war
einer
jener
seltenen
Glücksmomente,
die
man
niemals
wieder
vergisst.
Zwei
Jahre
später,
am
5.
April
2012,
starb
Banjo-Barny, das letzte Gründungsmitglied der DUBLINERS.