Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Erinnerungen an Disco-Zeiten 31.07.2013 Vor dem Schallplattenunterhalter war der Disc-Jockey. Das wusste man auch in der größten DDR aller Zeiten. Letzterer war einer, der es verstand, gute Musik locker, mit sachkundig gesetzten Worten und auf den Punkt gebracht, im Radio zu präsentieren. Die Tanzbarkeit eines Titels war nicht der Maßstab, die Musik auszuwählen, sondern der Inhalt der jeweiligen Sendung von Chart-Präsentation bis hin zu einer thematischen Auswahl. Das Ideal eines solchen „Jockeys“ sah ich lange Zeit in Radioleuten wie Nero Brandenburg, Kai Blömer oder auch Barry Graves, allesamt zum Ende der 1960er Jahre beim RIAS zu Gange. Die waren meine Vorbilder, was den Umgang mit Rockmusik, deren Präsentation und die Sichtweise darauf anbelangte. Deren Sachkenntnis, gepaart mit Feingefühl und persönlicher Sichtweise, hatte mich damals tief beeindruckt und wie ein Schmidt-Joos das sprachlich umsetzte, man lese im damaligen Rock-Lexikon, das wirkte sicherlich auf mich prägend. Daran hat sich bis heute nicht wesentlich etwas geändert, wenn man mal davon absieht, dass diese besondere Spezies von Radiomachern kaum noch anzutreffen ist. Allerdings hatte ich damals nicht die geringste Vorstellung davon, dass es im „westlichen Kulturkreis“ Discotheken gab. Dort konnte man hingehen, um nach der Musik von Schallplatten zu tanzen. Das war eine Vorstellung, die mir völlig gegen den Strich lief. Ich war Teenager und beim Tanz sollte eine Kapelle mit lebendigen Musikern auf der Bühne stehen, so meine „jungmännliche“ Vorstellung. Doch die Zeiten änderten sich damals schon und als ich im Frühjahr 1970 von der Fahne zurück kam, bot sich in den Tanzsälen der Dörfer und meiner Kleinstadt ein völlig anderes Bild. Plötzlich konnte man, statt einen Bandnamen, den einer Diskothek auf dem Plakat lesen. Eine von vielen, die zu Beginn der 70er Jahre bei uns die Dorftanzsäle eroberte, war „Leo’s Beatkiste“. Da stand einer hinter einem Tisch vor seinen Bandgeräten und dem Plattenspieler und ließ die Musik aus zwei Boxen, links und rechts der Bühne, auf die Tanzwütigen los. Ich stand fassungslos daneben, davor oder auch draußen und verstand die Welt nicht mehr. Selbst mein geliebter Beatschuppen „Hoppenz“ um die Ecke, wurde von dieser Entwicklung nicht verschont. Bis heute kann ich mich an ein Bild von einem rappeldicke vollen Saal erinnern und von der Bühne donnerte der Sound eines Songs, der, mitsamt der Langspielplatte, in jenen Tagen zum Kultobjekt avancierte „Race With The Devil“ von GUN. Von einer Band, die dort vorn live spielte, weit und breit keine Spur und dennoch hatte ich mir wenig später hatte die polnische Lizenzausgabe der Curvitz - Brüder aus Berlin geholt und in meine Sammlung einverleibt. Der Bann war gebrochen, ohne dass ich es bemerkt hätte. Ich kann mich erinnern, dass eines Tages zwei „Abgesandte“ aus dem VEB Kombinat Impulsa im Zimmer meines Chefs, Rolf Eckhardt, saßen und der mich dazu holte. Die erklärten, dass die FDJ Grundorganisation von Impulsa plane, im Keller der HO-Gaststätte „Winterberg“ Elsterwerda, also direkt unter der Terrasse, so eine Diskothek einzurichten. Das Jugendleben müsse eine Bereicherung erfahren und Impulsa wolle mit gutem Beispiel voran gehen, so oder so ähnlich der damalige Duktus. Mein Chef meinte, er würde mir einen „vorläufigen“ Diskotheker-Schein ausfüllen und dem klugen Jugendfreund von Impulsa gleich mit. Da könnten wir beide dann gemeinsam das Ganze gleich „in die richtigen Bahnen“ lenken. Das war 1972 und seither bin ich mit Hans-Georg befreundet. Wir beide merkten ziemlich schnell, dass wir musikalisch ähnlich tickten und unsere Vorstellungen, abweichend von denen meines Chefs, seines Zeichens Leiter der Abteilung Kultur beim Rat des Kreises, auch die gleichen waren. Mit den finanziellen Mitteln des Kombinates richteten viele Jugendliche nach ihren eigenen Ideen und durch eigene Arbeit sowie nach eigenen Vorstellungen in den Kellerräumen vom „Winterberg“ ihre Diskothek ein. Der Clou war ein Disco-Pult, das in der Ecke stand und von dem aus Georg und ich ihre Musik, nach dem Vorbild von Kai Blömer und Co, ( siehe oben ) für die anwesende Jugend Musik von Konserve abspielten. Vorn auf das Pult hatten wir „Tute“ schreiben lassen und unter diesem Namen wurde die Einrichtung in Elsterwerda auch bekannt. Von den Bandgeräten, wir benutzten das „ZK 120“ von Georg sowie mein „Qualiton“, erklangen die internationalen Sachen und von den damals gerade aktuellen Hallo-LP’s, die Hits von Electra bis zur Klaus Renft Combo. Irgendwelche Vorgaben interessierten uns nicht, sondern einzig und allein unser Musikgeschmack war der Maßstab. Wir durften und konnten uns austoben und erlebten dabei die Einführung des „Diskotheken-(Un)Wesens“ auf sehr individuelle Art im abgeschotteten Raum der Provinz, weit weg von Berlin. Dazu gab es reichlich Bier, Wein und andere Spaßmacher, die wir uns mitunter reichlich genehmigten. Der Weg nach Hause führte dann vom Gipfel des Winterberges, wo noch heute das Gebäude der ehemaligen HO- Gaststätte steht, die 101 hinunter Richtung Stadt. Manchmal mit einem kleinen Affen als Beifahrer oder einem Mädchen auf dem Gepäckträger, manchmal auch beide. Wer also heute meint, wir hätten damals alles unter Zwang, mit einem FDJ- Hemd am Körper und beim Gesang von Arbeiterkampfliedern gemacht, kann sich entweder nicht mehr richtig erinnern oder hat sowieso keine Vorstellung vom wirklichen Leben in dieser DDR, weil er nicht hier gelebt hat. Das frohe Jugendleben konnte, am richtigen Ort und zur richtigen Zeit, schon verdammt lustig sein, mit oder ohne „Tawarisch Lunikow“ und wenn heute ein Jugendlicher meint, das Koma-Saufen wäre eine Geisel der Neuzeit, den kann ich beruhigen. Auch wir haben nicht gerade wenig gebechert. Allerdings haben wir danach unsere Umgebung heil gelassen und unsere gute Kinderstube unter gar keinen Umständen vergessen. Es gibt schon auch Unterschiede. Parallel dazu lernte ich an meinem Arbeitsplatz in Bad Liebenwerda Manfred kennen. Manne hatte ein Faible für alles rund um Lötkolben, Kondensatoren, Schaltkreise und Mädchen. Nebenbei auch für die Musik, denn Mädchen konnte man auch auf den Tanzsälen treffen. Musik war unsere „gemeinsame Schnittmenge“ und wir beide beschlossen, ähnlich wie Leo mit seiner „Beatkiste“, als Diskothek über die Dörfer zu ziehen. Manne bastelte unser technische Equipment zusammen: Verstärker, Mischpult, seinen Plattenspieler, meine beiden Bandgeräte sowie zwei MV3 Boxen, falls sich noch jemand erinnert. Von der Dekorateurin der Abteilung Kultur, die liebevoll „Eppel“ genannt wurde, ließen wir drei große Tafeln bemalen, auf denen groß und bunt unser Name zu lesen war: „College Discothek“. Mögliche phonetische Ähnlichkeiten zu einer Berliner Rock-Band waren durchaus Absicht. So technisch ausgestattet und mit meiner „vorläufigen Pappe“ in der Tasche beglückten wir über mehrere Jahre an den Wochenenden die Gastlichkeiten der Dörfer in der näheren Umgebung und dort die Jugend aus nah und fern: Zobersdorf, Würdenhain, Kauxdorf, Großthiemig und mittwochs meist im HdW, sprich „Haus der Werktätigen“ Bad Liebenwerda, aus dem der Volksmund längst das „Haus der Wilden“ gemacht hatte. Was für eine schöne und auch wilde Zeit! Manne hatte in jedem Nest eine neue Freundin, ich durfte Musik zwischen Temptations und Frumpy spielen und gemeinsam hatten wir haufenweise unser pures Vergnügen vor und hinter den Bühnenkulissen. Wir haben gemeinsam eine Menge erlebt, so manche Mark nebenbei verdient und eingesteckt, ja und getrunken haben wir auch, denn Gisbert, unserer Fahrer, brachte uns stets sicher nach Hause, wenn die Mugge frühmorgens zu Ende war. Natürlich konnte das auf der „freien Wildbahn“ nicht ewig so weiter gehen und deshalb hat mich mein Chef auch irgendwann zu einem „Lehrgang für Schallplattenunterhalter“ nach Cottbus delegiert. Ich hab’s über- und bestanden und hatte eine echte „Pappe“ mit 7,50 Mark pro Stunde in der Tasche, was in der Praxis keinen Gastwirt interessierte. Von denen bekamen wir meist runde Summen, je nach Umsatz, überreicht. Nun muss sich ein Jugendlicher von heute natürlich vorstellen können, dass es damals, also in tiefsten DDR-Zeiten, in jedem noch so kleinen Nest eine Kneipe mit einem Saal hinten dran gab. Die Gaststuben waren, wochentags wie sonnabends, meist gut gefüllt und fast jede Kneipe veranstaltete auch Jugendtanz oder eben Diskothek - Abende. Meist mit voller Hütte und meist auch mit gutem Umsatz. Wir waren als „Collegte-Discothek“ gut im Geschäft und fast jedes Wochenende irgendwo unterwegs. Das wiederum hatte außerdem zur Folge, dass mein Chef von mir erwartete, dass unsere Einrichtung in Bad Liebenwerda nun ebenfalls Lehrgänge für Schallplattenunterhalter durchzuführen hätte. In den Jahren 1974/75 stand ich also als „Dozent“ für dies und jenes, meist aber für Musikgeschichte, vor jungen Leuten, die unbedingt eine Disco-Pappe haben wollten. Einige von damals treffe ich noch heute manchmal wieder und sie reden noch immer mit mir. Sogar über Facebook hatte ich vor kurzen eine Nachricht und als ich den Namen las, kam er mir, nach einer Weile des Überlegens, bekannt vor. Mails hin und her, Telefonnummern ausgetauscht und dann erzählt mir Bodo, dass wir uns bei so einem Lehrgang kennen gelernt hatten. Zwischen damals und heute liegen beinahe 40 Jahre und Bodo konnte sich noch an jedes Detail erinnern. Ich dagegen nur noch an einige wenige, denn Bodo hatte mir damals Schallplatten aus Dortmund von seiner Tante mitgebracht, die mein Freund David aus Schottland dorthin geschickt hatte, weil wiederum ich Angst hatte, die „Electric Ladyland“ von Hendrix würde wegen der vielen Nackedeis auf dem Cover nicht durch den Zoll kommen. Das hat Bodo, der aufgrund sehr persönlicher Umstände in den Westen reisen durfte, für mich erledigt und darüber haben wir neulich, nach fast 40 Jahren der Ruhe, wieder am Telefon gequasselt. Scheint so, als würden sich noch ein paar Leute an damals erinnern und das, was wir gemeinsam im aufkommenden Disco-Zeitalter verzapft haben. Mit Manne habe ich noch bis in die Mitte der 1970er Jahre „Disco gemacht“ und den Leuten meine Vorstellungen von guter Rockmusik, von Clapton’s „Swing Low Sweet Chariot“ bis „Doch sie wollte es wissen“ von Kreis, in den Dorfsälen um die Ohren gewedelt. Das hat ungemein viel Spaß gemacht und ich bereue keine Stunde und kein Mädchen, die uns die Nächte lang werden ließen. Erst als der massenhafte Drang nach Musik von Boney M., Silver Convention oder George McCrae nicht mehr zu bremsen war und die allseits „bumpende“ Glückseeligkeit einer Peny McLean von den Massen Besitz ergriff, habe ich meine „Disco-Pappe“ an den Nagel gehangen, um von der alsbald aufkommenden Disco-Welle und Leuten wie Modern Talking nicht geistig geschrumpft zu werden. Mir stand ohnehin inzwischen der Sinn mehr nach Genesis, Strawbs oder Mike Oldfield, deren Werke für das Publikum auf den Tanzsälen zu lang und zu anspruchvoll geworden waren. Von jetzt auf gleich war Schluss, während eine Welle niedlicher Hops-Lieder und der minimalistische Singsang der Neuen Deutschen Welle über Deutschland, West wie Ost, herein brachen. Da wollte ich nicht auch noch Steigbügelhalter sein. Manne hat mit seinem Freund Rolf als „Stern-Disco“ noch einige Jahre weiter gemacht und sicher eine Menge Spaß dabei gehabt. Irgendwann in den 80ern haben wir uns aus den Augen verloren und kaum noch getroffen. Nach der Wende hatte ich diese Zeit für mich völlig beiseite gelegt und, so wie Manne auch, einen anderen beruflichen Weg für mich gefunden. Im Jahre 1999 erreichte mich „völlig unvorbereitet“ die Nachricht von Manfred’s Tod. Ich wusste nicht, wie krank er war und wie das meist so ist, habe ich sehr bereut, diese Verbindung nicht auf irgend eine Art und Weise weiter gepflegt zu haben. Zu spät, so wie bei meinem Schulfreund Frank ein paar Jahre zuvor auch. Man meint, das Leben läuft, die Karriere muss gestaltet und irgendwelche wichtigen Dinge beachtet werden alles Quatsch. Wichtig sind Freunde, Familie und die eigenen Erkenntnisse vom Leben. Die Neider kannst du vergessen, die bremsen dich nur. Doch um das zu begreifen, musste ich erst Freunde und Teile der Familie verlieren, Neidern über den Weg laufen und etwas älter werden. Wie paradox, ungerecht, aber auch wahr! Mir sind die Erinnerungen an Manfred sowie an die gemeinsam verbrachte Zeit geblieben, die in dieser Konstellation seinerzeit sicher nicht für jeden machbar war. Mit Hans-Georg fahre ich immer wieder einmal zu Konzerten, wie erst neulich zu Steve Winwood, wenn einer der Stars unserer Jugendzeit in der Nähe ist. In meinem Keller steht noch immer das alte Qualiton und wenn es unter Strom gesetzt wird, dann drehen sich die Spulen und die alten Songs plärren in mono aus der Membrane. Die LP von GUN mit dem Überhit „Race With The Devil“ habe ich noch immer und neben ihr steht inzwischen auch das Original aus England. Mir muss niemand erzählen, wie es damals war, in dieser DDR. Ich habe hier gelebt, die Provinz war nicht Berlin und Biermann war mir völlig unbekannt, bis man aus Berlin lautes böses Schreien über ihn hörte. Manchmal hatte Ahnungslosigkeit in der Nähe von Dresden auch ihre guten Seiten und nichts davon, was ich selbst erlebt habe, wird mir jemand wirklich nehmen können. Auch dann nicht, wenn seine unbeteiligte Sicht von außen eine andere ist. Eine absolute Wahrheit gibt es ohnehin nicht, wie wir von den Philosophen zu wissen glauben. Meine Wahrheit ist diese. Es geht mir auch nicht darum, das Staatsgebilde DDR schön und mundgerecht zu reden. Ich will aber auch nicht, dass mein ganz persönliches Leben in diesem Land, in das ich von meiner Mutter hinein geboren wurde, mit diesem Staat auf eine gleiche Stufe der Ungerechtigkeit gestellt wird. Das wäre ebenso fatal wie die Vorstellung, heute wäre ich rundum ausgesprochen glücklich, nur weil man uns ständig was von Demokratie und Freiheit predigt, die ich mir finanziell nicht leisten kann. Das eine ist so falsch, wie das andere eine gemeine Lüge ist. Auch das ist ein Teil meiner Wahrheit.