Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Gisela Steineckert & Dirk Michaelis in Contsappel 10.12.2011 mit vorweihnachtlichen Gedanken vom “einfachen Frieden” und “steilen Straßen” In eher seltenen Momenten gelingt es, für eine Melodie die Worte zu finden, die in den Herzen weiter schwingen und die Gedanken zu eigenen Fantasien anregen. Manchmal sind die Worte schon längst geschrieben und erst die Töne eines Instruments vermögen sie zu dem zu erwecken, was dann viele tausend, ja millionen Menschen gleichermaßen begeistert. In so einem Moment, wo Text und die Idee einer Melodie sich auf perfekte Weise vereinen, hat jeder zu jeder Zeit und an jedem Ort sein eigenes emotionale Erlebnis, so auch beim Hören von „Als ich fortging“. Das Bild von der viel zu steilen Straße und dem heißen Asphalt, vom Wunsch zu gehen und vom Zweifel, vielleicht doch zu bleiben, birgt so viele Assoziationen in sich, dass jeder seine ganz persönlichen Gedanken da hinein stecken kann. Der Reiz des Liedes besteht vielleicht genau darin. Sie würde gemeinsam mit DIRK MICHAELIS, dem Erfinder dieser Melodie, einen vorweihnachtlichen Abend in der Kirche Constappel in Gauernitz gestalten. So steht es auf der Heimseite von GISELA STEINECKERT, die den Text dazu schrieb, zu lesen. Also fahre ich nach Gauernitz und bleibe dort schließlich in der einzigen und viel zu engen Straße stecken. Von einer Kirche weit und breit keine Spur, geschweige denn, dass eine Kirchturmspitze zu sehen wäre. Also fahre ich auf der Landstraße bis zu den nächsten Häusern und einer Abzeigung. Dort endlich der Hinweis nach Constappel. Nicht die Kirche, sondern der Ort heißt Constappel. Dort finde ich auch, oben auf dem höchsten Punkt und am Ende der steilen Straße, die Kirche. Überall kleine Lichter am Weg und vor der Kirche ein Zelt, wo man einen heißen Glühwein bekommen kann. Doch darauf kann ich gut verzichten, denn drinnen im vollen Gotteshaus findet sich für mich ganz weit vorn noch ein freies Plätzchen, sogar angewärmt. In meine Gedanken hinein schleicht sich auf einmal Musik, so wie man sie eigentlich um diese Zeit vor dem Fest und in einer Kirche auch erwartet. Der Posaunenchor Constappel plus Wilsdruff, so nennt ihn der Pfarrer, steht oben auf dem Rang vor der Orgel und stimmt auf die kommenden zwei Stunden mit weihnachtlichen Klängen ein. Zur Überraschung der angereisten Gäste erklingt dann noch eine neue Bearbeitung jenes Liedes, das man mit dem Namen seines Schöpfers sofort verbindet und so staunt DIRK MICHAELIS gleich zu Beginn nicht schlecht über diese Version von „Als ich fortging“ und er ist auch der erste, der an dieser Version Applaus spendet. So in Töne verpackt, entwickelt dieses kleine Lied noch einmal einen ganz besonderen und intimen Reiz. Respekt! Dirk Michaelis selbst beginnt den Abend solo und a-capella mit dem „Wintermärchen“ von der leider unterbewerteten Karussell-Wende-Scheibe „Solche wie du“ (1989). Es ist ein unter die Haut gehender Moment, weil diese Stimme schneidend die kalte Luft reinlassen und dann auch wieder wärmend leise flüstern kann: „Wir verkaufen uns’re Haut niemals!“ und damit den Doppelsinn von gestern und heute sichtbar machen kann. Da erscheint es schon beinahe wie Ironie, wenn er „Eigentlich geht es uns gut“ folgen lässt und dabei sein spitzbübisch jungendliches Lächeln aufsetzt. Hätte er jetzt noch „Löwenherz“ folgen lassen, wären mir wahrscheinlich Tränen ungehemmt in die Augen geschossen. Doch so viele Emotionen verträgt dieser frühe Abend noch nicht. Es gelingt GISELA STEINECKERT, die zarte Stimmung aufzufangen und sie mit ihren Gedanken leise und eindringlich fortzuführen. Ich folge ihr dabei, so wie all die anderen in den Bänken auch, hänge an ihren Lippen und den glänzenden Augen und spüre dann auch den unaufdringlichen Schups, als sie sagt: Wir sind das Volk und wir sind immer noch hier.“ Bleibt nur die Frage, wann tun wir endlich wieder was? Dirk, der gerade die volle 50 geschafft hatte, singt vom „Verrückten Vormittag“ und „Die Steineckert“, der man ihre 80 Lenze auch nicht ansieht, spielt mit dem Gedanken weiter, dass man „Weihnachten ja nicht abschaffen könne“, so wie vieles andere und auch, dass kaum noch jemand weiß, was dieses „hochheilige Nacht“ wohl bedeuten mag. Neben vielen Fetzen bleibt mir vor allem ihr Wunsch, „Möge niemand von uns, außer zur Gans, in die Röhre gucken.“ und die Formulierung, „Wir haben nichts weggeworfen, nicht den Plunder und nicht die alten Lieder.“, im Gedächtnis haften. Aus einem Mund mit dieser Lebenserfahrung klingt so etwas sehr eindringlich. Daran kann auch die Frage, woher denn jetzt die Fliege käme, die um die Lampe schwirrt, und WER die denn sei, nichts ändern. Wir müssen alle mit unserer eigenen Vergangenheit klarkommen und vor allem, mit ihr leben. Einen lang gehegten Wunsch hat sich DIRK MICHAELISA zum Runden erfüllt und einige seiner internationalen Lieblingslieder mit deutschen Texten eingesungen. Er singt uns vom „Feld aus Gold“, dem „Field Of Gold“ von Sting in Deutsch nachempfunden. Die dazu gehörige CD „Dirk Michaelis singt“ konnte man in der Pause erwerben und signieren lassen. Danach lockt der Sänger all diejenigen, die noch draußen stehen mit den Klängen von „All meine Lieder“ aus „Hallelujah“ (1980) wieder zurück in das Gotteshaus. Die Wortkünstlerin am Tisch bedankt sich beim Sänger für die extra lange Version, als alle wieder auf ihren Plätzen sitzen und beim Publikum dafür, dass niemand gegangen ist. Wieder folge ich ihren Gedanken und den eines mir unbekanntes Mannes, vom Sparen, wie das zu machen sei und von den vielen „abgebrochenen Selbstversuchen“, das Rauchen betreffend. Messerscharf sind auch ihre Gedanken hin zur Erkenntnis, „jeden seinen eigenen Gott“ zu lassen, so lange er „eine Kindheit im Internat nicht zerstört“ und „eine Rasierklinge in einem Kinderschoß“ nicht zulässt. Beinahe wie ein Gebet tönen all diese Worte da vor dem Altar, die gelebte Erfahrung von acht Dekaden auf deutschem Boden und ihre Warnung, „Wir müssen aufhören, alles zu machen, nur weil wir es können.“ – Amen, sprach sie und es blieb ein Moment der Stille und Zustimmung. Irgendwo in den Weiten Jakutiens, wenn ich das richtig mitbekommen habe, war Dirk Michaelis einer von 1200, die Maultrommel spielend einen Weltrekord für das Guinnes Buch der Rekorde aufstellten. So ein kleines Ding, das man sich in den Mund steckt, und das Töne erzeugt, wie sie in den Weiten der Mongolischen Steppe oder eben in Jakutien erklingen. Er zeigt es uns, nimmt dieses kleine Etwas und begeistert dann mit Grooves und Rhythmen die eben noch besinnlich Lauschenden und lässt sie toben, um sie wenig später, ebenfalls mit der Maultrommel, mit einstimmen zu lassen in die Weise vom „holder schönen Götterfunken“. Mich begeistert auch die wahre Geschichte vom Klassenaufsatz irgendwo in Sachsen zum Thema, was mir dieses oder jenes Werk mitteilen möchte. Ein kleiner Junge hatte sich Zeilen der STEINECKERT ausgesucht und sie einfach angerufen, um sich von ihr die Worte vom „einfachen Frieden“ erklären zu lassen. Mit einigen „kritischen“ Hinweisen der Autorin ausgestattet, wurde daraus eine eins für den Aufsatz. Nur die Frage blieb in der Schulklasse, dass man ja vielleicht Heine auch mal anrufen könne und bei STEINECKERT die, ob sie die Geschichte in zehn Jahren auch noch wird erzählen können. Danach erklingen noch „Mary Anne“ und natürlich die Melodie, auf die wir alle warten. Mit dezenter Pianobegleitung entfaltete „Als ich fortging“ noch immer diese eindringliche Wirkung eines besonderen Liedes in einer besonderen Zeit, auch wenn die Schöpfer vielleicht „nur“ ein Liebeslied im Hinterkopf hatten. Der Zeitgeist und die Sehnsucht der Menschen haben daraus mehr gemacht. Schon deshalb passt dieser Song in die Weihnachtszeit und zu diesem Abend in Constappel, von denen es von mir aus mehr geben darf. Vielleicht ist „Als ich fortging“ auch nur ein schlichtes Liebeslied, vielleicht einfach nur traurig und betörend schön, doch wer beim Hören in die Augen der Menschen sieht, die neben einem sitzen oder stehen, wird noch ganz andere Gedanken lesen können. So ist das nun mal bei kleinen Kunstwerken, wenn sie unsere Gedanken erwischen, mit ihnen sprechen und sie anregen. Dann bekommt die Sehnsucht Füße oder Vogelschwingen, mit denen sie sich über Grenzen jeglicher Art erheben kann. Einst sang Kurt Nolze eine Melodie, deren Worte ebenfalls von der STEINECKERT geschrieben wurden und wenn man sie hört, vermag man erst wirklich die Tiefe dessen zu erahnen, was sie uns auch in Zeiten wie diesen sagen wollen: „Das ist der einfache Frieden, den schätze nicht gering, ….“. Möge uns allen eine besinnliche Weihnachtszeit beschieden sein und wenn wir dann vielleicht ein Bild betrachten, ein Buch lesen oder ein Lied hören, dann denken wir daran, dass in jedem Pinselstrich von Dürer, in jedem Wort von Christa Wolf und jedem Ton von Gerhard Gundermann vielleicht auch etwas mehr steckt, als der erste Augenblick zu verraten scheint. Zumindest habe ich diesen Gedanken vom Abend mit dem Sänger und der Wortkünstlerin mit nach Hause und in die Weihnachtszeit genommen, denn sie sagte und gab uns mit auf den Weg: Atme - Dein Ich liebt Dich!“