Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Delta Moon – Slide-Guitar im Doppelpack 17.03.2016 Treffen sich zwei bärtige Männer mittleren Alters. Der eine will dem anderen eine Gitarre seines Vaters verkaufen. Der will sie aber nicht. Ort der Handlung, ein stiller Parkplatz vor einem Musikaliengeschäft irgendwo in Atlanta, Georgia, im tiefen Süden der USA, lebendiges Spannungsfeld zwischen Mississippi und den Everglades, wo es entweder glühend heiß oder dunstig feucht ist. Beide bleiben in Kontakt und gründen, welch Wunder, eine Band. In deren Musik spiegeln sich der Blues ihrer Heimat, ziemlich ruppig und ungeschliffen, und die eigenen Lebenserfahrungen. DELTA MOON ist geboren. Sie spielen in Clubs und Cafès, wo sie ihren Stil perfektionieren. Sie touren durch die USA, präsentieren ihre Musik in Europa und zum wiederholten Male nun auch in Deutschland. Ich brauche wieder einmal dieses Grummeln im Bauch und den Schweiß auf der Stirn, ein Gefühl, wie ich es zum ersten Mal am Radio beim Hören von „Mississippi Delta“ aus Bobbie Gentry’s Album „Ode To Billy Joe“ (1967) hatte. Da war ich ein Teenager von gerade einmal 17 Jahren und spürte plötzlich eine fremde Faszination beim Hören: Schwül, lasziv und voller Emotionen. Diese Art Blues, und alles, was daraus bis heute geworden ist, ist mir damals völlig neu gewesen. Bis heute fasziniert mich diese Melange und wenn sich eine Gelegenheit bietet, tauche ich gern wieder in dieses Gefühl ein. Die beiden unscheinbaren Herren, TOM GRAY und MARK JOHNSON, betreten die Bühne, nehmen sich eine ihrer Gitarren und mit den ersten Klängen geht ein Ruck durch die Leute, die dem Fernsehabend den Rücken gekehrt haben. Das Ding, was da von der Bühne springt, ist ein „Lap Dog“ (Schoßhund) und alles Mögliche, nur nicht zum Kuscheln geeignet. Der Boogie stampft durch die Massen, als wolle er jeden Einzelnen zum Mitmachen animieren. Der Groove geht in die Beine und das Spiel der beiden Gitarristen zieht die Blicke auf sich. Es ist genau die Mischung, die ich mir erhofft hatte. Spätestens bei „Black Cat Oil“, einem träge gespielten erdigen Boogie, werde ich an meine Jugendjahre erinnert, Der Song wabbert durch das imaginäre Flussdelta, wie einstmals die „Suzie Q.“ von Creedence Clearwater durch unsere Gehörgänge. Ich bin hingerissen vom wechselhaften Spiel der beiden Slide-Gitarren. Als dann noch das Traditional „You Got To Move“, das durch Fred McDowell bekannt und in der Version der Rolling Stones berühmt wurde, so richtig schön rotzig gespielt von der Rampe kriecht, bin ich weg und alle. Diese Musik lebt, sie atmet, sie fasziniert und sie lässt Menschen gemeinsam fühlen. Jetzt brodelt die Stimmung in der Feuerwache Magdeburg und ich bin mittendrin. Das Besondere an der Musik von DELTA MOON ist das Slide-Gitarren-Tandem GRAY & JOHNSON, die mit ihrem verwechselbaren Spiel, klassisches Bootleneck einerseits und die Lapsteel-Technik bei TOM GRAY auf der anderen Seite, den Sound der Band prägen. Das Spiel beider greift ineinander, verzahnt sich und läuft im solistischen Spiel weit auseinander. Manchmal spielen beide auch parallel und dann verschmelzen die beiden Techniken miteinander. Der Sound ist rau und ungeschliffen, mal dreckig und dann wieder lasziv, es wabbert und es knallt einem voll in die Breitseite. Dann grinst TOM GRAY und setzt mit seiner knarrenden, schwül-heiseren Stimme noch einen oben drauf. Warum eigentlich für die großen ZZ Top einen Haufen Geld ausgeben, wenn ich hier, für kleines Geld, zwei ebensolche, nicht minder perfekte, Virtuosen direkt vor der Nase haben kann. Das „double-slide-guitar-tandem“ spielt den Blues und Americana noch immer so schwülstig trocken, wie die drei Bärtigen schon lange nicht mehr. Die beiden Slide-Gitarren rocken sich mit „Nothing You Can Tell A Fool“ in einen regelrechten Rausch. TOM lässt schließlich seine Gitarre einfach am Bühnenrand liegen, geht mit dem Mikro unter die Leute und übt mit fast jedem einzeln seinen Chorus zu singen. Die Stimmung ist am Kochen, es brodelt und von der Bühne gibt es „Back Coffee“ dazu. Das ist es, was den Reiz dieser Club-Konzerte ausmacht – mittendrin zu sein und nicht weit weg von einer Riesenbühne. Beide Gitarristen haben mit ihrem Drummer VIC STAFF und dem Mann am Bass, FRAHNER JOSEPH, eine locker und leicht agierende Rhythmus-Sektion im Rücken. Der eine zupft cool entspannt seinen Bass, während der andere sein Schlagzeug mit äußerster Präzision bearbeitet. Da macht das Zusehen Freude, weil man keiner ausgefeilten Show aufgesessen ist sowie alles noch spontan abläuft und der verschmierte Zettel auf dem Boden ist wohl die Reihenfolge nicht wert, die darauf gekritzelt ist. Die Band spielt sich mit u.a. „Jessie Mae“ durch ihr eigenes Frühwerk und präsentiert mit „Afterglow“ oder dem rockigen „Lowdown“, dem Titelsong, Stücke von der aktuellen Scheibe. Wo sie ihre Wurzeln haben, verraten sie mit einer tollen Version von „Who Do You Love“, einer alten Bo Diddley-Nummer und mit Dylan’s „Down In The Flood“. Mitten in dem lasziven Boogie „Afterglow“ erleben wir, wie Bass und Schlagzeug synchron eine Solo-Performance vom Feinsten abliefern. Wenig später wird uns dann FRAHNER JOSEPH mit einem „Bass“-Solo der besonderen Art begeistern. Sein Instrument lässig ruhig vor dem Körper haltend, imitiert er den Bass nur mit seinem Mund. Da bleibt nicht nur mir die Spucke weg und wer seinen Blick vom Musiker abgewendet hat, der glaubte wirklich, ein Bass-Solo zu hören. Mal etwas ganz anderes. Die Stimmung brodelt wie in einem Lavakessel. Am Rand tanzen einige der jüngeren Damen und die Männer erinnern sich, kopfnickend statt headbangend, an jene Zeiten, als das Haar noch dichter war. Die Stimmung gerät völlig außer Rand und Band, als das Slide-Gitarren-Tandem während eines ihrer Soli von der Bühne steigt und sich vorn direkt und hautnah präsentiert. Ein Moment voller Emotionen und prall mit Energie geladen. Es rockt, es groovt, es kreischt und bebt im Saal. Wieder zurück auf der Rampe donnert es von oben „move your head, shake your hip“. Es ist wie vor gefühlt tausend Jahren, nur grölten wir damals etwas von „Hippy Hippy Shake“. Das Lebensgefühl ist das gleiche geblieben, nur sind wir inzwischen wie schaumgebremste Zirkusrocker unterwegs, statt einfach unserem Affen, so lange es eben noch geht, richtig die Kante zu geben und abzurocken. Mich eingeschlossen! Eigentlich wollten die Amis von DELTA MOON hier den Stecker ziehen und mit Gerstensaft inhalieren. Doch es gibt noch drei Mal etwas als Zugabe und bei „Shake Your Moneymaker“ toben die Massen, als hätten sie Angst, etwas zu verpassen. Es ist den vier Herrschaften mit Ihrem Delta-Blues tatsächlich gelungen, eine Ladung steifer Deutscher aus der Reserve zu locken sowie ihr Zipperlein und das Alter vergessen zu machen. Ich bin dabei, wieder einmal mittendrin, in der ersten Reihe und ich habe es im Körper gespürt. Und das alles nur, weil zwei Männer mittleren Alters sich auf einem Parkplatz trafen, um eine Band zu gründen.