Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Am Zeppelin aufgetankt - Deborah Bonham in Torgau 19.01.2012 Sie erblickte das Licht dieser Welt im Jahre 1962 und sie war sechs Jahre alt, als sich 1968 aus den Bruchstücken der alten Yardbirds eine neue Band formierte, die sich New Yardbirds nennen wollte. Ihr Bruder, John Bonham, wurde Drummer dieser Band, die sich aber nun LED ZEPPELIN nannte. Mit ihrem Neffen, Jason Bonham, unternahm DEBORAH BONHAM ersten Versuche, selbst zu musizieren und im Studio von Robert Plant, das sich in einem Nachbardorf befand, entstanden die ersten Demo-Aufnahmen. Diese verschickte sie anonym zur Begutachtung und hatte bald darauf ihren ersten Plattenvertrag in der Tasche. Das daraus resultierende Album „For You And The Moon“ (1985) war der Beginn einer erfolgreichen Laufbahn als Solistin, die sich, unabhängig von der des viel zu früh verstorbenen berühmten Bruders und des gestrandeten Zeppelins, bis in heutige Tage fortsetzt. Auf diesem Weg musizierte sie mit Musikern, an denen sie sich orientiert hatte und mit Bands, denen sie mit ihrer ausdruckstarken Stimme, wie bei Fairport Convention, den längst vergessen geglaubten Reiz aus Zeiten mit Sandy Denny wieder verlieh. Mir fiel sie eher „nebenbei“ auf, als sich der Small Faces - Fan in mir das 2004er „Memorial Concert for Steve Marriott“ in den DVD Player schob und dort die stimmgewaltige Sängerin entdeckte. Sie mal live zu erleben, kam mir damals ebenso wenig in den Sinn, wie die spätere Begegnung mit Ian McLagan im Januar 2009. Die rührige Mannschaft der Torgauer Kulturbastion verwöhnt ihr Stammpublikum gleich zu Beginn des Jahres 2012 mit einem Konzert dieser außergewöhnlichen Sängerin und ihrer Begleitband, die man für gewöhnlich mit Paul Rodgers gemeinsam auf den Bühnen erleben kann. Aber das ist noch mal ein ganz anderer Wunsch, wenn ich mal das Erlebnis eines gemeinsamen Konzertes mit Queen außen vor lasse. Die Gemäuer der Kulturbastion haben den unvergleichlichen Charme einer gemütlichen Kneipe, in der sich immer wieder die gleichen Leute mit den gleichen Klamotten und eben auch der gleichen großen Leidenschaft für gute Musik treffen können. Ganz entspannt trinkt man ein Bier oder einen Schoppen und kann dabei Gedanken und Erinnerungen austauschen, ehe man endlich in das intime Gewölbe mit der kleinen Bühne eintritt. Wenn man dort vorn steht, glaubt man sich in den alten Keller-Klubs von London und Liverpool zu wissen, in denen einst in den frühen 1960ern die Helden unserer Jugend den Soundtrack vieler Lebensläufe in die Gitarrensaiten, Becken und Tasten droschen. Einen Moment die Augen zu, die Ohren auf und …. ein vom Rhythm’n’Blues durchtränkter dreckiger Gitarrensound kracht in den Raum. Bei „Shit Happens“ bekommt man sofort das Gefühl, an der Rock-Tränke angekommen zu sein. Die kleine Lady mit den blonden wallendem Haar vor mir, eine Mischung aus der Stimmgewalt von Sandy Denny und der Explosivität einer Janis Joplin, ist von diesem Augenblick an der Mittelpunkt der kleinen Bühne. Zwar steht dort ein Mikro mit Ständer, doch diese Debbie Bonham kann kaum einen Moment davor verweilen. Sie formt jeden Ton und jede Zeile mit vollen Einsatz ihres quirligen Körpers, sie dehnt und streckt sich, während sie sich beinahe trotzig „What We’ve Got Ain’t For Sale“ aus den Stimmbändern reißt. Verdammt noch mal, was ist das für eine Röhre und wo holt sie nur diese Power her und als wäre das noch nicht genug, schickt sie mich mit „Need Your Love So Bad“ in die nächste Woge von Gefühlen. Manchmal hebt sie sich auf ihre nackten Zehen, um noch ein Stück näher an den leisen Tönen zu sein, die sie ins Mikro haucht, um sich im nächsten Augenblick schon hinten fallen zu lassen, von wo sie dann ihre Emotionen in die Welt hinein schreien kann. Wozu braucht diese Debbie eigentlich ein Mikro? So führt sie uns Stück für Stück durch Erlebnisse und Erfahrungen von „The Old Hyde“, ihrer schon zehn Jahre zurückliegenden CD. Erst mit „Jack Past Eight“ sowie „Love Lies“ und trockenen Riffs, die noch aus der alten Schatzkiste von Led Zep zu kommen scheinen, präsentiert sie rockender Weise neuere Songs. Diese beiden Nummern und dem nachfolgenden „Pretty Thing“ merkt man das Spannungsfeld zwischen Zeppelin, Free und Bad Company, Jimmy Page und Paul Kossoff an. Vom Blues durchtränkt und mit Whisky durchspült, so forztrocken und rau kommt die Gitarre von Peter Bullick über die Rampe gebrettert und genau so rau, aber gespickt mit Ausdruck und Leidenschaft thront darüber Debbie’s Gesang. What a voice! Doch auch wenn sie mal auf Tempo verzichtet, dann lässt sie sich in „If I Had A Little Love“ fallen und nimmt jeden einzelnen mit auf ihre Reise der Leidenschaft. Einen der ganz großen und seltenen Momente erleben wir, als Peter Bullick zur Mandoline greift und die Konturen eines alten Zeppelins sich aus den Klangfetzen schälen. Gemeinsam mit dem Mann an den Tasten, Gerhard Louis, singt sie „Battle For Evermore“, einen jener Songs, der schon damals ein Beleg für die großartige Kreativität des rockenden Luftschiffes war. Debbie schafft diesen Rückblick ganz ohne Melancholie und erzählt zwischen den Songs kleine Episoden aus dem Leben neben „the greatest Rock’n’Roll Band ever“, das ganz offensichtlich mächtig auf sie selbst abgefärbt hat. Dies scheint ihre Art Aufarbeitung, ihr Lebensgefühl von Rock’n’Roll zu sein und wie zum Beweis, dass sie dies auch ganz und gar aus sich selbst heraus kann, erklingt mit „Grace“ eine Nummer, die sehr direkt genau diese Kraft ausdrückt. Es rockt und groovt und wenn ich mich mal umsehe, kann ich lauter glückliche Augenpaare sehen, die an dieser Erscheinung von Teufelsweib vor uns kleben. Dieses Energiebündel steht kaum einen Moment still und wenn, dann nur, um einem Ton einen besonderen Ausdruck zu verleihen. In solchen Momenten lässt sie sich schon mal auf die Knie sinken, um von da unten nach oben gerichtet, beinahe ein Blues-Gebet zu singen, aus dem sie sich wieder langsam heraus steigert, um hernach wie ein Orkan zwischen Schlagzeug und Mikro-Ständer zu toben und letztlich wie Janis Gruß in den Rockerhimmel ihren ganzen Schmerz ins Mikro zu brüllen, dass man die Druckwelle zu spüren scheint. Meine liebe Frau Gesangsverein! Noch einmal kehren ihre Gedanken nach Hause zurück, an den Platz, wo sie eine glückliche Kindheit und stürmische Jugend verbringen konnte. In bewegenden Worten erinnert sie an die beiden älteren Brüder und an die Mutter, die sie erst im vergangenen Jahr 84jährig gehen lassen musste, und sie spricht davon, dass sie mit weit geöffneten Armen darauf warten wird, „for when I see them again“. Der ergreifende Song von „The Old Hyde“, jener Farm, auf der sie alle glückliche Zeiten miteinander verbrachten und miteinander die Rock’n’Roll Welt umkrempelten, ist der emotionale Höhepunkt dieses Abends mit Deborah Bonham. Sie steht, ganz im Gegensatz zum ganzen Abend, still vor dem Mikrofon und lässt ihre Stimme in einer Weise vom kleinen Dorf und dem grünen Gras, von Vater und dem Bruder, erzählen, dass Gänsehaut und eigene Erinnerungen nicht ausbleiben können. Jetzt hätte ich gern ein brennendes Feuerzeug für ihren und meinen Vater in meinen Händen gehalten. Thank you so much, Debbie. Nein, so hat sie uns nicht nach Hause geschickt! Gerade noch hab’ ich einen Riesenkloß nach unten geschluckt, da werde ich vom Krachen der Drums zurück in die Realität gerissen und endlich bekommt ein alter Fan, was er kaum zu hoffen gewagt hatte, nämlich „Rock’n’Roll“, den brachialen Zeppelin Klassiker, pur und ungebremst. Die knallharten Beats des Drummers und trockene Gitarre lassen für einen Moment das alte Zeppelin aufsteigen und die da singt, hat wohl die Posen von Plant beim Nachmittagstee in „Old Hyde“ mit aufgesogen, so täuschend echt tobt sie da vor uns den alten stimmgewaltigen Rock’n’Roll und gemeinsam brüllen wir „been a long lonely, lonely…. lonely time“! Wenn mir das jemand vor über 40 Jahren gesagt hätte! Als Bonus gibt’s noch „Stay With Me Baby“ und danach bleiben die meisten auch wirklich noch eine Weile. Minuten später trifft man sich schon bei zwanglosen Gesprächen wieder, bekommt vom Gitarristen mal eben so ein Souvenir in die Hand gedrückt und die Lady mit der tollen Stimme und den blonden langen Haaren plaudert locker mit jedem an der Bar, als würde man sich schon Ewigkeiten kennen. Die intime und gelöste Atmosphäre der Torgauer Kulturbastion macht es möglich und wer nicht dabei war, hat schlicht einen musikalischen Leckerbissen der Extraklasse verpasst. Alle, die sie an diesem Abend mit der Band von Paul Rodgers erlebt haben, nahmen den Wunsch mit nach Hause, sie möge noch einmal kommen und uns nicht so lange auf weitere Geschichten aus „Old Hyde“ warten lassen.