Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Collegium Musicum & Omega live in Loket, CZ 28.05.2011 Manchmal geschehen Dinge, an die man selbst nicht im Traum gedacht hätte. Da warte ich beinahe 30 Jahre auf die Chance, das slowakische COLLEGIUM MUSICUM noch einmal live erleben zu können und dann gelingen mir innerhalb eines Vierteiljahres gleich zwei Besuche bei der Band. Mitte Februar dieses Jahres fuhr ich mit zwei guten Bekannten kurz entschlossen nach Prag und sah im Klub Lucerna eine furios aufspielende Band und nun sitze ich schon wieder im Auto, mit dem wir gerade die Grenze zum Nachbarland überfahren. Wir rollen auf der Autobahn vorbei an Dresden und Chemnitz in Richtung Karlovy Vary und auch diesmal ist ein Konzerterlebnis der Grund. Unser Ziel ist Loket, eine versteckt liegende romantische Kleinstadt an der Eger. Auf dem Programm steht eine besondere Rocknacht unterhalb der Burg Loket und auf der Bühne wird wieder das COLLEGIUM MUSICUM und die Live-Aufführung der „Rhapsody“ von OMEGA wird als Höhepunkt zu erleben sein. Letzteres hätten wir zwar bequemer einen Tag vorher in Halle und noch dazu mit Orchester haben können, aber die Kombination mit den Art-Rockern aus Bratislava unterhalb einer einzigartigen Burg sowie das Zusammensein mit Freunden und die Chance zu Gesprächen mit Rock-Idolen meiner Jugend, das war dann doch die reizvollere Variante. Die alte Burg liegt beeindruckend stolz hoch oben auf einem Granitfelsen über der Stadt, die in einem großen Bogen von der Eger umflossen wird. In den endlosen Zeiten hat sich der Fluss am Rande eines Tales rund um das Gestein gefressen und in der Mitte den Fels, heute mit der Stadt und der Burg darauf, stehen gelassen. Wenn sich das Tal urplötzlich vor dem Auge des Besuchers öffnet, meint man, da drüben eine kleine Spielzeugstadt zu erkennen, doch je näher man kommt, das Tal umrundet hat und dann über die Brücke nach oben in die Stadt einfährt, erkennt man die Realität, die sich nicht minder faszinierend darstellt. Viele schmucke alte Häuser im bürgerlichen Stil, viele davon liebevoll restauriert, ducken sich im Halbrund um die Burg, bilden Straßen, kleine Gassen und noch kleinere Trampelwege und natürlich einen Marktplatz. Beinahe meine ich, in einem Film gelandet zu sein und wie sich später herausstellen wird, hat sich dieser Eindruck nicht nur mir so aufgedrängt. Alle Fotos dieser Seite kann man durch Anklicken vergrößern. Vom Markt über die hohe Brücke, unter die sich die Eger hindurch windet, bis zur Arena unterhalb der Burg, sind es keine zehn Minuten zu laufen. Man folgt einem Weg mit seinen Schlängellinien hinab zum Flussufer in Richtung Bühne, ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, später 121 Stufen hoch zur Brücke als Rückweg zur Mitternachtsstunde noch vor sich zu haben. Das Panorama mit Blick zur Burg ist einfach nur traumhaft schön. Man sucht sich einen Sitzplatz und hat die Bühne mit dieser Traumkulisse vor Augen und so mancher schon wieder ein Bier in der Hand. Das allein würde zum Entspannen schon genügen, doch da zerreißen überpünktlich die deftigen Klänge einer Hammondorgel die beschauliche Ruhe im Tal. Diese Töne fabriziert einer, der sein Leben lang nichts anderes gemacht hat, als mit seinem Instrument die perfekte Synthese anzustreben. Der inzwischen 64jährige MARIAN VARGA sitzt, wie vor 30 Jahren auch schon, in gebückter Haltung vor seinen Manualen und Registern, so als wolle er da hinein, um die Töne für den „Mikrokozmos“ noch besser beherrschen zu können. Mit FEDOR FRESO am Bass und FERO GRIGLAK an der Gitarre jagt er die Soundkaskaden bis hoch in die Ränge und der Jungspund MARTIN VALIHORA treibt die drei Altrocker mit seinem am Jazz orientierten Rhythmus gnadenlos weiter. Bela Bartok, der einst die Noten dazu schrieb, wäre sicherlich glücklich, dieses Quartett zu erleben, so wie ich es bin, vor der Bühne zu stehen, meine Musik aufzusaugen und einen ganz persönlichen Gruß herunter von der Rampe zu empfangen. Die Arena ist zu dieser Nachmittagsstunde mit vielleicht 1500 Zuschauern gut gefüllt und man spürt inmitten dieses bunten Volkes deutlich, dass die da vorn ein Heimspiel haben und das auch genießen. Das COLLEGIUM MUSICUM lässt mit „Ulica Plana Plastov Do Dazda“ Musik aus ihrem legendären Doppelalbum „Konvergencie“ (1971) lebendig werden. Varga formt mit seiner Hammond Stück um Stück ein Thema, um das sich nacheinander die Improvisationen von Griglak’s Gitarrenspiel ranken, der seinerseits wiederum die Anregungen für Varga’s Orgelspiel liefert. Die beiden so unterschiedlichen Virtuosen erzeugen immer mehr Spannung, die sich in einem furiosen Finale entlädt und zwischendrin immer mal wieder vom Applaus unterbrochen wird. Wie habe ich solche Musik, live zu hören, vermisst! Was der Stern Combo Meissen die Adaption von Vivaldis „Frühling“ ist, bedeutet dem Quartett aus Bratislava seit 40 Jahren das „Concerto In D“ nach Joseph Haydn. Nur ist diese Variante ein hochexplosives Zauberstück, um die Möglichkeiten der von MARIAN VARGA gespielten Hammond-Orgel beinahe bis an ihre Grenzen auszureizen. Der gleitet noch immer wie ein Magier über die Tasten, lockt und zerrt die Töne und beinahe meint man die alte Leslie-Box schreien und stöhnen zu hören. Der Rhythmus von Bass und Drums stampft derweil im Hintergrund und Griglak liefert sich mal heftige Tongefechte mit Varga, um danach beinahe flüstert mit der Hammond Zwiesprache zu halten. In diesen Augenblicken erlebt mein 70er-Jahre-Gefühl noch einmal eine Auferstehung, so als wäre heute Rock’n’Roll-Himmelfahrt. In genau jenen 1970er Jahren entstand Griglak’s Ruf als der des John McLaughlin des Ostens und diese Meisterschaft zeigt der Gitarrenhexer während der „Burleska“. Ein paar ausgedehnte Gitarrenläufe lassen uns ahnen, was dieser Mann für eine Explosivität auf dem Instrument und ausgefeilte Improvisationen entwickeln könnte, wenn er mit seiner eigenen Band FERMATA musiziert. Der Sound des COLLEGIUM MUSICUM wird allerdings von der Hammond-Orgel dominiert und das Besondere ist wohl noch immer, dass die Stücke nicht in drei Minuten einfach mal so abgespult werden, sondern Zeit brauchen, ihre Schönheit, die einzigartige Ausstrahlung und auch den instrumentalen Reiz der Stücke einmal über längere Phasen zu entwickeln und entfalten zu können. Dies ist einer der Gründe, weswegen ich dieser Spielart seit den Zeiten von Nice, Ekseption oder ELP verfallen bin und weshalb ich in Loket vor dieser Bühne stehe. Für meinen Kreislauf bedeutet das, hochgradig mit Adrenalin angereichert zu werden. Die sinkende Sonne taucht die alte Burg Loket in dieser Abendstunde in gleißendes Licht. Während der Umbaupause nutze ich die Zeit für ein Treffen mit zwei Idolen meiner Jugendjahre. Bei Fedor und Franticek sehe in lebendig blitzende Augenpaare, erlebe herzliche Gesten und darf mich freuen, die Gelegenheit dafür zu haben. Zu dieser Zeit sitzt Marian Varga schon in einem Auto, um irgendwo an diesem Abend noch einmal die solo Tasten zu drücken. Musikantenleben ist überall gleich. Die Wartezeit bis zum Hauptact des Abends überbrückt DIFFERENT LIGHT, eine Band aus heimischen Gefilden. Nicht gerade ein leichter Job, zwischen zwei solchen Urgesteinen zu musizieren. So ist es kein Wunder, dass die gefällige Pop- Musik der Band, durchgehend in englisch gesungen, von den meisten eher als Unterhaltungskulisse wahrgenommen wird, während sich die Arena jetzt beinahe bis zum letzten Platz füllt. Zu dieser Zeit wird einer der Hauptakteure und leidenschaftlicher Fußballfan wohl noch im Zimmer seines Hotels dem Spiel von Manchester United zusehen und erst eine Stunde später wie ein heißer Pusta-Wind mit wehender blonder Lockenpracht über die Bühne fegen. Endlich gegen 21.°° Uhr wehen erste künstliche Nebelschwaden als Vorboten von der Bühne über die Bankreihen, um sich zwischen den Bäumen zu verlieren. So langsam eint sich der vielsprachige Chor der Omega-Rufer hinter mir, obwohl in wenigen Augenblicken „nur“ zwei Omega-Originale einen Orkan lostreten werden. Am Tag davor noch mit einem Orchester als Unterstützung, werden wir in Loket die blanke Urgewalt von Mecky, Ciki & Co. erleben, ganz ohne Schnörkel und künstliche Verziehrungen. Die große Gesten und weit gespannte Melodiebögen von „Egi Harangok“ werden von den Akkorden der „Overture“ angekündigt. Flankiert von TAMAS SZEKERES mit seiner Gitarre und der rothaarigen KATY am Bass, die schon mit SID als Vorband in Dresden auf der Bühne stand, tritt MECKY auf die Bretter, auf der von nun an vor allem Songs aus der Progrock-Phase von „Time Robber“ bis „Omega 8“ bis hin zu „Babylon“ und „Egy Jel“ einen großen musikalischen Bogen schlagen werden. Mit der Hymne „Egi Harangok“ zieht die frisch aufspielende Band so ziemlich alle Register, die man von so einer sanft beginnenden Rock-Ballade erwartet, dann aber mit frischen Gitarrensoli überrascht und zum Ende als furioser Kracher in die Menge hinein explodiert. Perfekt! Wie auf der CD läuten CIKI’s wuchtige Paukenschläge „Babylon“ ein und die Band fackelt diese Rock-Nummer wie ein Feuerwerk aus Power und Lasershow ab. Ebenso heavy und rockig, von jedem überflüssigen Ballast befreit, kommt „Meghivas“ daher. Der Song entfacht einen Sturm und Mecky jagt wie ein Derwisch über die Bühnenbretter. Über ihm zerreißen die bunten Laserfinger die Nacht, während die Band überschäumend rockt, das Publikum von einem Höhepunkt zum nächsten jagt. Es ist eine Freudenfeuerwerk der Gefühle und ein Fest der Zweieinhalbtausend. Einer meiner großen Höhepunkte ist das als reines Instrumentalstück neu arrangierte „Gammapolis“, das TAMAS mit seiner Gitarre in beeindruckender Weise in die Nacht erklingen lässt. Mir drängen sich Vergleiche zu den großen Instrumentalpassagen bei Pink Floyd förmlich auf, denn vor uns modelliert ein Ausnahmegitarrist die Töne nach seinem ganz eigenen Willen, ohne das gesungene Original zu verzerren. Diese verjüngte „Omega“-Band agiert in einer berauschend und äußert frischen Weise. Sie lässt die Zeiten zwischen Phasen, aus denen die unterschiedlichen Songs stammen, dahin schmelzen und macht ein neues Ganzes daraus. Das aktuelle „Egi Jel“ klingt ebenso überzeugend, wie etwa das locker zehn Jahre ältere „A Kereszt-ut Vege“ aus dem Album „Trans And Dance“ (1995). Das ist genau die große Leistung aller Beteiligten, das großartige Potential dieser Musik neu zu entdecken und die Songs mit dieser Live- Band sowie mit dem Omega-Frontmann und Ciki an den Drums zu präsentieren. Nur zwei Mal wird die Abfolge der „Rhapsody“ unterbrochen, als nämlich die Band solistisch und instrumental agiert. Zum einen das bereits erwähnte epische „Gammapolis“ als Gitarrenstück und in der zweiten Hälfte noch einmal, als das rockige „Csillagok Utjan“ aus den Endsiebzigern ebenfalls instrumental dargeboten wird. TAMAS, ganz in Schwarz mit einem weiten roten Tuch um den Hals, und KATY, in sexy Long-Shorts und heller Jacke, sind auch echte Hingucker und perfekt aufeinander eingespielte Instrumentalisten, denen man den Spaß an der Sache deutlich anmerkt. Danach ist „Rhapsody“ komplett live gespielt und vor allem, im Gegensatz zur CD, in Ungarisch gesungen. Doch wie nicht anders zu erwarten, verlangt die versammelte kleine Völkerfamilie mehrsprachig nach Zugaben. Während sich lange grüne Laserstrahlen über das Konzertgelände tasten oder bizarre Formen in den Nachthimmel malen, ist das Orgelintro zum „Perlenhaarigen Mädchen“ zu vernehmen. Getragen von mehr als zweitausend sangesfreudigen Kehlen erklingt der Welthit von OMEGA über die Eger hinauf zur Burg und zum Schluss zünden wir noch gemeinsam die „Petroleumlampe“, um die Nacht zu erhellen. Es ist zum Heulen schön und beeindruckend einmalig sowieso! Die Zeiger rücken langsam in Richtung Mitternacht, während sich das Gelände langsam leert. Wir beschließen, den kürzeren Weg über die Treppe zu nehmen. Als wir oben ankommen, sind die Knie weich und meine Lunge presst die 121 Stufen keuchend aus sich heraus. Nur gut, dass der Anblick der hell erleuchteten Burg die anderen ablenkt! Gut außerdem, dass mein Bett in greifbarer Nähe wartet. Das versteckte Burgstädtchen Loket erwacht erst gegen 8.°° Uhr langsam und kaum merklich aus dem Schlaf. Zwei Stunden später lacht die Sonne vom strahlend blauen Himmel. Dort unten, wo die vielen Autos parken, wurden Szenen für einen der letzten James Bond Filme gedreht, wie ein paar Fotos im Flur verraten. Wir verlassen die Pension in Richtung Markt. Im Hotel „Ferdinand“ lasse ich mir von fünf bestens gelaunten Musikern vor deren Abreise meine Fotos der Generalprobe signieren und kann noch ein wenig Small Talk betreiben, ehe wir, diesmal mit zwei Fahrzeugen und leichter Verzögerung, den Heimweg antreten. Unterwegs lerne ich, was im Becherofka-Museum von Karlovy Vary noch alles möglich ist, wie ein Obladen-Laden aussieht und wozu Tankstellen außerdem noch genutzt werden können. Es wird noch eine Weile dauern, bis diese Assoziation aus meinem Hirn verschwunden sein wird. Das eigentliche Event allerdings bleibt unvergessen, denn es war einmalig, wunderschön und hat eine Menge kleiner Wünsche wahr werden lassen. Ahoj Loket und wer weiß, vielleicht auch bald auf ein Wiedersehen. Es gibt noch so einiges im Nachbarland (wieder) zu entdecken!