Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Maire Breatnach & Matthias Kießling sind die Celtic Cousins 21.04.2015 Alles begann mit einer Amiga-Langspielplatte von WACHOLDER. „Herr Wirt, so lösche unsre Brände“ hat mich damals ungemein begeistert. Im gleichen Jahr sah ich eines ihrer Konzerte und ließ mir auch das Cover signieren. Mitte der 1990er Jahre war ich noch einmal bei einem ihrer Konzerte, bei dem ich sie gemeinsam mit der schottischen Sands- Family auf der Bühne erleben durfte. Zwei tolle Ereignisse, die mir bis heute lebhaft in Erinnerung geblieben sind. Inzwischen ist eine Menge passiert. Wacholder gibt es nicht mehr, denn die Musiker gehen längst eigene Wege. Nur während ihrer Abschiedstour im Jahre 2008 waren sie, fast vollständig und gemeinsam, noch ein letztes Mal zu erleben. Bei einem der Konzerte im Brauhaus Radigk von Finsterwalde war ich dabei. Seither kann man sie nur noch mit ihren jeweils aktuellen Einzelprojekten live oder mit Gästen erleben. Für mich ist Matthias „Kies“ Kießling so etwas wie der Ur- Wacholder geblieben, weil er sich mit einem Hauch von Historie, die brandaktuell um die Ecke kommt, umgibt. Ich sah ihn solo, gemeinsam mit MÀIRE BREATNACH sowie auch als EIST in Dresden und jedes Mal entdeckte ich Neues, hörte ich diese Musik anders. Meine heimliche Liebe für Folk, Celtic und Artverwandtes ist in all den Jahren nur noch intensiver geworden. Oft ist es ja auch so, dass die Stile ineinander- und neue Ideen einfließen, wenn Musiker des Genes gemeinsam auf die Bühne gehen. Das macht für mich den besonderen Reiz von Folk-Music aus. Diesmal nennt sich das aktuelle Projekt CELTIC COUSINS, das mich in das Gleimhaus von Halberstadt lockt, wo ich inzwischen zu Hause bin und gern lebe.. Der Name meint das Miteinander zweier sehr individueller Musikanten und das musikalische Verschmelzen ihrer kulturell-künstlerischen Vita mit der des anderen. So sah ich sie schon einmal, doch das liegt Jahre zurück. Der Zufall hat sie mir diesmal quasi direkt vor die Haustür, in das Gleimhaus von Halberstadt, geschickt. Diese Gelegenheit lasse ich natürlich nicht ungenutzt verstreichen. Die Musiker gehen den Abend betont ruhig, zur Abendstimmung passend, und sanft an. Die warmen Töne eines „Dudelsacks für Geige“ stimmen uns auf die kommenden zwei Stunden ein und lassen den Puls langsamer werden. Die Hektik fällt während der ersten beiden Instrumentalstücke ab und öffnet die Sinne. Diese typisch irisch-schottischen Tänze, Jigs und Reels genannt, werden wir den ganzen Abend über in ganz unterschiedlichen Stimmungen zu hören bekommen. Ruhige Stücke wie „Voyage Of Grace“ oder die „Insel der Glückseeligkeit“ trägt MAIRE BREATNACH instrumental vor. Wenn sie und MATTHIAS KIEßLING in gälischer Sprache singen, sind es sehr oft auch Texte des schottischen Nationaldichters Robert Burns. Viele seiner Texte hat der Dichter allerdings den einfachen Menschen in den Kneipen und Pups abgelauscht und dann sind solche wunderschöne Balladen wie „Red Red Rose“ entstanden, die uns „Kies“ mit seiner markanten Stimme singt. Solche emotionalen Momente gehen mir immer wieder tief unter die Haut und der Mann mit dem schlohweißen schulterlangen Haar versteht es unheimlich gut, diese keltischen Melodiebögen auf sehr eigene Weise zu interpretieren, zumal MAIRE ihn mit der Geige sehr einfühlsam unterstützt. Noch intensiver ist der Eindruck, als MAIRE in gälischer Sprache „Eist“, sich selbst dabei mit der Geige begleitend, intoniert und „Kies“ dezent eine zweite Stimme dazu singt. Diese Art Lieder mag ich ganz besonders gern, weil sie mir irgendwie fremd sind und dennoch von eingängiger Schönheit. Manche der Melodien meint man, schone eine Ewigkeit zu kennen. MAIRE BREATCHACH ist in ihrer Heimat eine anerkannte Institution. Sie erzählt Geschichten, die sie mit ihrem Instrument, der Geige, und ihrer Stimme lebendig werden lässt und sie tut es mit irischer Leidenschaft und großer Hingabe. In den Liedern geht es um Liebe, Schmerz und die Mythologie der Kelten, deren große Traditionen sie pflegt und verbreiten hilft. Mich beeindruckt, wie beide, jeweils abwechselnd, die Strophen des „January Man“ von Christie Moore und damit den Verlauf eines ganzen Jahres besingen. Mein ganz persönlicher Höhepunkt allerdings ist auch diesmal die Ballade „Fiddler’s Green“, so wie sie MATTHIAS KIEßLING ins Deutsche übertragen hat. Darin liegt die ganze Schönheit und Schwermut Irlands verpackt, wie sie auch die legendären Dubliners besungen haben. So viel Platz für Gänsehaut kann man gar nicht haben. Dass einem Musikanten der Schalk im Nacken sitzt, beweist „Kies“ beim Philosophieren über das Lied der Brandenburger bzw. das „Branden-Burg-Lied“ und wirft dann trocken ein: „Apropos Wölfe“ und stellt den ganzen Unsinn über den „menschenfressenden Wolf“ an den Pranger. Meinen Respekt hat er für „Isegrims Frühstück“ sicher und auch, was seine Ausführungen zum „Stahlhelm-Joachim“ und die „heiligen Kriege“ angeht. Das macht er messerscharf, gar bitterböse und dennoch die Herzen berührend. Und sogleich singt dieser Mann mit sanfter Stimme zu einer wunderschönen Melodie die bittere Ballade „Wir haben im Feld gestanden“. Das ist großes Kindo und so scheiß-aktuell, dass einem die Luft wegbleiben und Angst werden könnte! Dafür bekommt er zwar keinen Medienpreis, da bin ich mir sicher, aber das Bundesverdienstkreuz wäre das Geringste für die „Melodie gegen den Wahnsinn des Tötens“!! Von mir aus auch aus den Händen vom „Bundes-Gauck“. Ebenso berührend, aber völlig anders, ist ein Instrumentalstück, das MAIRE ihrem verstorbenen Vater gewidmet hat. „Walter’s Song“ lebt von einer schlichten Melodie, sehr einfühlsam auf der Violine vorgetragen. Zu finden ist der Song auf ihrer CD „Cranna Ceoil“ (2009). Als sich der Abend dem Ende entgegen neigt, versuchen die beiden ihre Gäste zum Mitsingen des Refrains von „Poc ar Buile“, der Geschichte einer geschmückten Bergziege, die mit einem „Puck“ gekrönt wird, anzuregen. Das Singen hat leider nicht ganz geklappt, dafür war das Meckern aus den hinteren Reihen gut zu vernehmen. So viel Vergnügen kann ein Lied aus dem 17. Jahrhundert noch heute bereiten und Erwachsenen kleine Jugendstreiche entlocken. Es ist ein unterhaltsamer Abend mit Liedern in deutscher und gälischer Sprache geworden, mit zwei profilierten Künstlern, zwei emotionalen Stimmen und Liedern zum Träumen, voller Wehmut und mit viel Leidenschaft, zum Nachdenken und auch zum Lachen. Folk und Tradition in engem Miteinander sowie aktuelle Inhalte bissig unter der Volk tragend. Genau so hatte ich die beiden in Erinnerung und so erlebe ich diese zwei Stunden im Gleimhaus, ehe sie wieder mit Jigs & Reels, mit Geige und Gitarre ausklingen. Im „Folk-Laden“ auf dem Tisch kaufe ich mir (endlich) „Helm ab zum Gebet“, die letzte CD von MATTHIAS „Kies“ KIEßLING, und auch „Granna Ceoil“ die von MAIRE BREATNACH. Beide erhalten noch eine Signatur und letztere wird demnächst eine (Rück)Reise nach Schottland antreten, um einen Freund zu überraschen, mit dem mich eine lange Freundschaft und eine große Leidenschaft verbindet, die für gute Musik im Allgemeinen und die für Folk(Rock) ganz besonders.