Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
CARA live in Goslar 10.03.2023 Es ist jetzt knapp zehn Jahre her, dass mich diese Folk-Band mit einem Konzert unter der F60, beim European Celtic Folk-Festival 2014, überraschte. Mit Irisch-Schottischen Folk-Weisen sowie eigenen Songs spielten sich die Musiker in die Herzen des Publikums, also auch in meins. Ich liebe diese Klang-Mixtur von Fiddle, Dudelsack, Gitarre und Bodhran. Das Markante bei CARA ist die Kombination von Fiddle und Uileann Pipes, einem irischen Dudelsack, der mittels eines kleinen Blasebalgs unter dem Arm angeblasen wird. Wenn dann noch ein Knopfakkordeon hinzu kommt, die Rhythmen toben und zwei Ladies verführerisch singen, öffnet sich eine Wundertüte voll traumhaft schöner Melodien. Das will ich heute, gemeinsam mit meinem Sohn, noch einmal erleben Das Kulturkraftwerk in Goslar ist eine Stunde vor Beginn schon gut gefüllt, der Tresen belagert und die Stehtische mit Hocker vergeben. Bis auf einen unweit der Bühne. Den erobern wir und kurze Zeit später stehen zwei Glas Bier vor uns. Vater und Sohn Abend. Schnell noch ein Selfie für die Familie, dann wird es eng zwischen den Tischen und vor der Bühne. Das Licht zieht sich zurück … und schon bald tupft ein Piano vorsichtig in die Stille hinein, als wolle sich die Weise vom „„Cockle Gatherer“ (Herzmuschelsammler) vorsichtig in die Ohren schmeicheln. Zwei Fraustimmen steigen ein und ganz allmählich, mit einem sich steigernden Rhythmus, ändert sich die Atmosphäre im Raum. Einige Körper wiegen sich sanft, ich lasse die Geschehnisse da draußen los, gebe mich der Harmonie hin, die von der Bühne strahlt. Schon fühle ich mich, wie im nächsten Song, innerlich „Grounded“, gut geerdet. Endlich wieder ein Konzert, Live-Atmosphäre, unter Menschen glücklich. Auf einem Hocker sitzend, genieße ich sanfte Stimmung, die von den Melodien ausgeht, versuche die „Stories behind“ zu entschlüsseln und lasse mich doch nur in den Chorus vom „Ardkeen Boat Song“ fallen und auffangen, der sich leicht und entspannt anfühlt. Ich fühle mich tatsächlich geerdet, lausche den Jigs & Reels (?), die Violine, Pipes, Piano und Gitarre für uns zaubern, während Sohnemann neben mir still in sich rein lächelt. Die Musik von CARA spannt einen weiten Bogen von balladesken Songs, wie dieses „Ardkeen“, bis hin zu urfröhlichen Instrumentalstücken, die man Jigs oder Reels nennt, bei denen man das furiose Spiel des irischen Dudelsacks bestaunen kann und sich wundert, wie der dem flinken Spiel der Violine folgt oder sie lockt. Da vorn sitzt, beinahe wie versteinert, Simon Pfisterer und entlockt seinen Pipes Töne, das einem heiß wird und neben ihm, mit einem (fast) ständigen Lächeln im Gesicht, Gudrun Walther, die schottisch-irische Musik im Blut zu haben scheint. Die beiden sind über weite Strecken optischer Mittelpunkt der Show und durch das Zusammenspiel von Fiddle und Uilleann Pipes auch Klangzentrum der Band. Flankiert von Kim Edgar, zur linken am Piano, deren helle Elfenstimme locker mit der von Enya konkurrieren könnte und zur rechten Jürgen Treyz, dem Gitarrenvirtuosen und Mastermind im Hintergrund. Die vier Vollblutmusikanten erzählen mit ihren Liedern Geschichten aus dem Inselleben der Schotten und Iren und wir hören eigene Schöpfungen, die sich harmonisch hinzu und dazwischen fügen. Alles wie aus einem Guss und dennoch typisch CARA, was sie mit „The False Lover Won Back“ eindruckvoll und virtuos unterstreichen. Dass in diesen wunderschön klingenden Balladen oft echte Horror- und Gruselgeschichten verborgen sein können, ist kein Geheimnis. CARA kündigt uns eine zehnminütige „Ballad Of Little Musgrave“ an, ein Stoff „aus dem die Italiener eine ganze Oper stricken“, so Gudrun süffisant. Der entpuppt sich als dezente kleine Hymne, gleichwohl die Geschichte einer untreuen Ehefrau, Lady Barnard, und ihres Geliebten, Little Musgrave, mit dem Tod durch das Schwert (des Ehemannes) endet. Ich bin trotzdem hin und weg. Wenn Elfen singen, vergisst man die Welt um sich herum und folgt eigenen Gedanken. Meine reisen bei „A Leaf For A Sail“ (Ein Blatt als Segel) fast zwanzig Jahre zurück zu Segeltörns auf der Ostsee und einer Männertags-Runde, während da vorn wieder die Elfenstimme von Kim erklingt. Mit solchen Folk- Weisen vermag man sich überall hin zu träumen, gern auch bis ins „Land Of The Midnight Sun“, von dem uns Gudrun, inspiriert von einer Skandinavien-Reise, singend erzählt. Auch davon hab’ ich einen kleinen Happen (beim Segeln) kosten dürfen. Darauf ein Pausenbier oder einige weitere „luftig flockige Reels“, bei denen die Musikanten ihre Spielfreude und ihr traumwandlerisches Spiel auf den Instrumenten in ausgiebigen Solo-Parts präsentieren können, während im Saal laut die Begeisterung tobt. Noch eine weitere ausgefallene Geschichte soll nicht unerwähnt bleiben, die sich auf einer Italienreise zugetragen hatte und nun als Song von CARA die Konzertbesucher erreicht. „The Nacked Man In The Wirlpool“ muss man nicht weiter erläutern, wohl aber die filigrane Melodie hervorheben, mit der uns Flöte, Knopfakkordeon und die Slide-Gitarre von Jürgen verzaubern. Dies ist ein weiterer Höhepunkt des Abends, der mit dem „Windhorse“, dem Sound von „Riverdance“ ähnlich, ganz allmählich seinem Finale entgegen reitet. Jetzt toben und tanzen Piano, Gitarre, Fiddle sowie die Flöte von Simon noch einmal ausgiebig über ausgelassenen Rhythmen, reißen jeden im Saal mit. Vor und neben mir wiegen sich Körper, nehmen Hände die rhythmische Energie auf, um sie sogleich wieder als Begeisterung und Jubel nach vorn zu schleudern. In Goslar tobt die Party und Vater mit Sohn mittendrin. Das fühlt sich richtig gut an, ich bin dankbar für diese gemeinsame Zeit. Mit „The Maid Of Whitby“ folgt noch einmal eine rhythmische, ja fast rockige, Nummer, die jeden im Saal zum Klatschen anregt. Noch einmal faszinieren Pipes und Fiddle beim gemeinsamen Chorus und wäre es nicht so eng, müsste man den Abend tanzend beschließen. Eine weibliche Schönheit, die mit der Fiddles den letzten Tanz des Abends auf die Bühnenbretter legt, während ihre rote Haarmähne wie eine Schleppe hinter ihr her fliegt, zeigt uns, wie es geht. Was für ein faszinierendes Schlussbild eines hinreißenden Folk-Abends! Danach stehen vier glückliche Musikanten vor ihrem Publikum, das begeistert nach einer Zugabe verlangt. Diese Band klingt noch immer so frisch, charismatisch und so authentisch, wie ich sie vor zehn Jahren erlebte. In diesem Jahr feiert sie, auch mit diesem Konzert in Goslar, ihr 20- jähriges Bühnenjubiläum. Glückwunsch! Als die ersten schon gehen wollen, hat sich die Menge eine weitere Zugabe erjubelt. War dieser Abend bis zu diesem Augenblick schon ein emotionales Erlebnis, gelingt CARA am Ende noch eine Steigerung mit einem uralten Song von Bob Dylan. Der schrieb „Lay Down Your Weary Tune“ bereits 1963, doch veröffentlichte ihn damals nicht. Dafür nahmen ihn The Byrds 1965 auf ihr zweites Album „Turn! Turn! Turn!“ (1965) und schufen in ihrer Version eine filigrane mehrstimmige Folk-Hymne, die mich heute noch begeistert. Genau jenen alten Song, der bei Dylan noch zerbrechlich und kantig klang, hören wir zum Abschluss, sehr feinfühlig und tief unter die Haut gehend. Für einen Dylan-Verehrer und Byrds-Fan einfach zum Heulen schön. Ich bin überwältig und hab’ einen dicken Kloß im Hals, der mich am Mitsingen hindert. Dass ich einige Minuten später draußen im nassen Neuschnee stehe und die Piste im Flockenwirbel kaum zu erkennen ist, kann mich nicht im Geringsten stören. Ich summe gerade eine der schönsten Melodien, die ich kenne und nehme sie mit nach Hause.