Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich kannte CÄSAR PETER GLÄSER 23.10.2012/30.05.2019 Es gibt viele Musiker, die ich kenne. Einige von ihnen wurden im gleichen Jahr geboren, in dem auch ich das Licht der Welt erblickte. Der Zufall wollte es, dass ich in Leipzig zur Welt kam, wo ein halbes Jahr zuvor ein anderer Junge ins Leben eintrat: Peter Gläser. Der lernte als Kind, wie man Blockflöte zu spielen hatte und mir drückte mein Vater mit sieben Jahren eine Violine in die Hand. Es war das berühmte „Yeah! Yeah! Yeah!“ der Beatles, das mich zur Gitarre lockte und Peter Gläser, den alle nur CÄSAR nannten, griff ebenfalls zur Gitarre, um Musiker zu werden. Mit dieser festen Absicht landete er zum Vorspiel bei Klaus Renft und wurde im zarten Alter von 17 Jahren der Gitarrist in dessen Combo, während ich noch mit „Sound Of Silence“ und „San Francisco“ in der Penne Mädchenherzen eroberte. In jener Zeit begann ich zum Jugendtanz zu gehen und erlebte dort erstmals die Klaus Renft Combo in der Besetzung Renft, Matkowitz, Stolle und Pachsteffel sowie Hans-Jürgen Beyer als Sänger, der „Set Me Free“ aus dem Film „Privileg“ live auf die Bühne brachte. Wenig später schon hatte der Chef seine Combo völlig neu formiert: Renft, Kuno, Pjotr, Jochen, Monster und CÄSAR. Von da an war die Klaus Renft Combo jene Band, die unserem Lebensgefühl von damals einen klanglichen Ausdruck verlieh. Ihr Gitarrist und Kultfigur war CÄSAR. Diese Band habe ich geliebt, ihre Konzerte besucht und war jedes Mal begeistert. „Wer die Rose ehrt“ wurde zur Hymne einer ganzen Generation und CÄSAR so etwas wie ein (ungewollter) Star. Als RENFT verboten wurde, verstand ich die Welt nicht mehr und als Karussell auftauchte, war (fast) alles wieder gut, denn CÄSAR spielte dort seine alten Lieder und verwöhnte uns mit neuen. Während CÄSAR durch die DDR tingelte, war ich inzwischen in (m)einem Provinznest für Kultur zuständig und mit ROCK-MIX hatte ich eine beliebte Konzertreihe in der Provinz etabliert. Im Jahre 1978 hatte ich dafür Karussell mit CÄSAR gebucht und durfte mir ein wundervolles Konzert im ausverkauften Gesellschaftshaus auf die Fahne schreiben. Als im Jahre 1989 die Glocken eine veränderte Zeitrechnung einläuteten, sah ich CÄSAR noch einmal im Trio und bestaunte ihn bei der Amiga Blues Band. Dann verlor ich den Musiker, im Gedrängel und Schubsen sozialer Neuorientierungen, für knapp zehn Jahre aus den Augen. - Am 23. Oktober 2008 klingelt frühmorgens mein Telefon und die gebrochene Stimme eines Bekannten aus der Fan- Szene sagt: „CÄSAR lebt nicht mehr.“ Da war ich schon längst wieder mittendrin, lebte meine Liebe zur Musik und hatte CÄSAR bei Konzerten und im „Fanclub der Weggefährten“ getroffen und gesprochen. Diese Nachricht traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Wir alle hatten doch gehofft und mitgefiebert. Vergebens. Mir blieben einige emotionale Begegnungen sowie Erinnerungen an Konzerte mit CÄSAR und seinen Spielern im Leipziger Anker. Vor allem das Weihnachtskonzert mit der Big Band und Oschek als Gast hatte mein Herz berührt und meine Seele gestreichelt. Als er sich nach dem Konzert am 15. Dezember 2007 verabschiedete, kannte er bereits die Diagnose Krebs. Als wir davon erfuhren, wollte keiner die Hoffnung aufgeben. Im Juni 2008 erschien er wieder gut gelaunt und zuversichtlich beim Fan-Treffen im Entenfang. Wir erlebten gemeinsame Stunden, wir sprachen miteinander und er verbreitete Zuversicht, aus der wir alle schöpften konnten. Es war so typisch für ihn, anderen Wärme und Kraft zu schenken, auch dann, wenn er nur wenig davon für sich selbst hatte. Wir haben gemeinsam viel gelacht, keine Gedanken an die Krankheit verschwendet und alle waren wir voller Zuversicht auf eine noch lange gemeinsame Zeit. Genau so fühlte sich der Abend an und deshalb werde ich diese Stunden niemals vergessen. Nicht das gemeinsame Blättern in meinem Album mit Fotos und Autogrammkarten, nicht die Gespräche über die Musik und wie unsere beiden Hunde Spaß hatten, erst recht nicht. Als er ging, war es ein leises Gehen mit dem Wunsch, es möge „sich noch einmal rundeln“ und dieses „sich rundeln“ wollte er mit einem einmalig schönen Konzertereignis im „Anker“ krönen. Doch der kalte Südfriedhof in Leipzig wurde am 7. November 2008 der Ort unseres endgültigen Abschieds. Zehn Jahre danach fehlt er mir, und vielen anderen, immer noch sehr. Dieser CÄSAR PETER GLÄSER war vielen, quer durch die Generationen, ein Idol, Vorbild oder auch ein Freund geworden. Manchen, so wie eben auch mich, hat er mit seiner Musik runde 40 Jahre durch das Leben begleitet, hat mir oder uns Freude geschenkt, in schlechten Tagen mit seinen Liedern geholfen und in schlimmen Momenten Zuversicht gegeben. Plötzlich hatten wir alle kollektiv einen schlimmen Moment und nichts konnte uns in diesen bitteren Stunden helfen. Alles schien grau, kalt und freudlos, denn unser CÄSAR lebte nicht mehr. Statt des rauschenden Festes, der wundervollen Party, erlebten wir im „Anker“ das emotionale „Semper Fidelis“ in Erinnerung, im Gedenken und zu Ehren von einem der wohl großartigsten Rock-Musiker, den dieses Land jemals hervorgebracht hatte. Vor dieser Bühne stehend, im Wechselbad der Gefühle und im Rausch der Lieder, haben wir trotzig, zornig und liebevoll ein gemeinsames Event gefeiert, das seiner in jedem Moment würdig war. Und am Schluss sangen wir gemensam „Wer die Rose ehrt“ und wir heulten unsere Gefühle heraus. Manchmal lege ich mir zu Hause eine der alten Vinyl-Scheiben auf oder eine seiner CD’s ein, um seine Stimme zu hören und den Stimmungen hinter zu lauschen. Ganz für mich allein, um Gedanken und die Erinnerungen sowie Emotionen nicht zu behindern. Ich brauche dieser Art der „Besinnung“, aufgehen in der Musik, um mich selbst zu finden und die zeitliche Lücke aufzufüllen. Auch, um dem Lauf meines eigenen Lebens zu folgen, die Gedanken zu sortieren und Kraft für kommende Zeiten zu tanken. Weitere zehn Jahre später, im Januar 2019 an seinem 70. Geburtstag, sahen wir uns alle wieder bei „Semper Fidelis 70/10“. Mir ist fast wie zehn Jahre zuvor und ich bin glücklich sowie eigenartig beseelt fühlt sich das Ereignis an. Danach brauche ich ganz viel Wärme und die bekomme ich wieder bei den herzlichen Umarmungen und liebevollen Worten von Freunden und Musikern. Der Abschied fällt mir besonders schwer und als ich gehe, empfinde ich ein tiefes Gefühl von Glück, Dankbarkeit und Demut, diesen Mann namens CÄSAR getroffen und persönlich kennengelernt zu haben: „Wenn ich, was mein Lied gesät, aufgeh’n seh’ in fremden Köpfen und find’ Lachen und find’ Weinen, nämlich bin ich glücklich.“ Ich musste erfahren, der Tod ist unerbittlich und das Leben viel zu oft erbarmungslos. Wir Menschen haben zunehmend verlernt, zu leben und „kommunizieren“ immer öfter im digitalen Umfeld, wo man dem wirklichen Leben bequem aus dem Wege gehen und sich etwas vormachen kann. Wir treiben uns weiter, wir hetzen uns gegenseitig, Stillstand ist nicht vorgesehen und das Umfeld hat zudem andere Prioritäten auserkoren, als solche, die man sich wünschen möchte. Manchmal verwarnt uns der eigene Körper, zwingt uns anzuhalten und den Umgang mit uns selbst zu überdenken, die Prioritäten neu und anders zu setzen, wenn wir nicht ausbrennen wollen. Auch das zunehmende Alter fordert manchmal einen unerwarteten Tribut oder schlägt der Seele tiefe Wunden. Dann hilft mir Musik, auch wieder die Gitarre selbst in die Hand zu nehmen und inzwischen auch, zu schreiben. Und dennoch: Der Blick nach vorn geht, zumindest für mich, auch nur mit dem weit zurück. Wenn ich nicht vergesse, woher und mit welchen Idealen im Gepäck ich einst kam, dann lasse ich mir meinen Plan von der Zukunft auch nicht von noch so viel flockiger Verführung ausreden. Ich werde mich nicht verbiegen (lassen) und CÄSAR wird für mich und für viele andere der bleiben, den ich, den wir kennen und achten gelernt haben. Gerade weil er nicht glatt gebügelt und nicht frei von Widersprüchen gelebt hat, so wie ich auch. Gerade weil er nie so tat, als wüsste er bereits schon alle Fragen im Voraus zu beantworten. In seinem Leben und seinen Zweifeln konnten sich viele, wie ich eben auch, über weite Strecken selbst erkennen. Es stimmt, CÄSAR lebt nicht mehr. Doch alle Erfahrungen, gemeinsam mit ihm oder durch ihn gemacht, die sind noch immer hier. Wir leben und wir denken. Auch an Dich, mein CÄSAR, und manchmal ganz besonders. Danke Simone Dake für dieses Foto.