Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Butlers-Boogie am Goldenen Reiter 01.05.2011 Heute ist der erste Tag im Mai. Meiner Mutter würde ich mit einem Blümchen zu ihrem 89. Geburtstag gratulieren und mein Vater käme irgendwann gegen Mittag ziemlich „angetütelt“ sowie einem Grinsen im Gesicht aus der Maimenge nach Hause - „Same procedure as every year.“ Aber wir schreiben das Jahr 2011 und die beiden sind wahrscheinlich dort, wo Geburtstag und Bier mit Mainelke keine Bedeutung mehr haben. Grund genug für mich, den irdischen Möglichkeiten Raum und den weltlichen Freuden Zeit zu geben. Mir ist nach Musik, nach Bratwurst vom Grill und vielleicht auch nach einem Bierchen. Mein Heimatkaff verpennt auch diese Gelegenheit, mich und meinesgleichen zu begeistern, und deshalb suche ich Lebensfreude außerhalb, wo Musikanten, Bratwürste und ein Bier anzutreffen sind – auf nach Dresden zum Goldenen Reiter! Dieser 1. Mai eignet sich wunderbar für den „Neustädter Frühling“ rund um den Goldenen Reiter. Dort ist genug Platz für viele Menschen. Neben dem Sockel des Reiters steht eine große Bühne und stünde man dort oben, könnte man wahrscheinlich die ganze Hauptstraße nach hinten und über all die Buden und Sonnenschirme hinweg sehen. Die dies können, sind die Leipziger BUTLERS. Es mir endlich mal gelungen, eine für meinen Kilometerzähler akzeptable Mugge der Ur-Leipziger Beat-Gruppe zu finden, die im Jahre 1958 von „Klaus dem Renft“ gegründet wurde. Da sitze ich also in der Frühlingsglut der Sonnenstrahlen, staune über die perfekt gestylten Herren Musiker und erinnere mich. Klar, genau so haben damals viele auf den Bühnen gestanden, mit Hemd, einem kragenlosen Sakko und manchmal mit Schlips oder wie in diesem Fall, mit schwarzer Fliege. Die Beatles sowieso und die legendären Lords auch, die Animals oder Surfaris, deren „Whipe Out“ als Opener über den Platz schallt, wobei 80 Dezibel nicht wirklich „schallen“ bedeutet. Im Tal der Ahnungslosen ist das wahrscheinlich schon ein Soundgewitter. Freiheit wird heutzutage nicht mehr begrenzt, weiß man, bestenfalls mit Vorschriften reguliert, wenn auch ständig. Als ich es den Technikern sage, haben die auch nur ein Schulterzucken übrig. So eine geile Technik und alles auf Sparmodus, nur weil schon irgendwo hinter der Ecke ein Rechtsanwalt auf einen Klagewütigen lauert. Blöde Vorstellung von Freiheit, die sich die Montagsdemonstranten hierher geholt haben! Sei’s drum. Der Klassiker „Whipe Out“ ist gut zu erkennen und danach geht’s Schlag auf Schlag bzw. „beat by beat“ quer durch den reichhaltigen Früchtegarten der 1960er Jahre, als sich THE BUTLERS ihren Ruf in den Pressluft- Schuppen der ex-DDR erspielten: „Pretty Woman“ (Roy Orbison), „Gimme, Gimme Good Lovin’“ (Crazy Elefant), „Poor Boy“ (Lords), „(I Want To Spend My Life) With A Girl Like You“ (Troggs) und den eher selten gespielten „Daydream“ von John Sebastian’s Lovin’ Spoonful. Gott, waren das Zeiten, als jeder neue Song die Bezeichnung Hit noch verdiente und außerdem eine neue Offenbarung in Sachen Kreativität war. Wie alt mag „Mary Lou“ wohl inzwischen sein? Man hätte eigentlich tanzen müssen, wie die Kids vor der Bühne und die zuckende Lady vor meiner Nase. Scheiß Selbstzensur! Dafür bin ich dennoch der einzige, der seiner Begeisterung unüberhörbar laut Luft macht. Da kommt dann doch mein Ur-Instinkt durch, als ich die ersten Töne von „Death Of A Clown“ (Dave Davies), „Dandy“ (Kinks) und „Keep On Running“ (Spencer Davis Group) höre. Diese Kracher kommen allesamt derart authentisch von der Bühne, dass man meinen könnte, das Original in die Ohren zu bekommen, wenn auch nicht laut genug (siehe oben). Der Mann, der diesen geilen Beat vorgibt, heißt Hans-Dieter „Schmidtie“ Schmidt am Schlagzeug. Der ist Gründungsmitglied plus Urgestein der BUTLERS sowie einer der wenigen noch lebendigen Väter dessen, was heute lax als „Ostrock“ bezeichnet wird. Als dann der Mann mit den vier Saiten, Rüdiger „Cliff“ Ruhland, sein Instrument umhängt, dessen Original einst McCartney von den Beatles zupfte, ist es um mich geschehen. Bei „Get Back“ der Fab Four vergesse ich für Momente, wo ich gerade bin und zeige mein Freudentänzchen. Irgendwie war’s danach lustiger in den ersten Reihen, denn als der alte Klopper „Hey Tonight“ (CCR) ertönte, höre ich einen zaghaften Chor, der das Mitsingen probt. Gleich danach steht der Sänger und Gitarrist, Richard „Ritchie“ Zikeli plötzlich vor uns und ehe wir uns recht besinnen, dirigiert er gekonnt einen spontanen Chor, der gemeinsam „Marmor, Stein und Eisen bricht“ singt. Dabei scheut sich „Ritchie“ auch nicht, durch die Reihen zu gehen und einzelnen Chorsängern eine Solo-Chance zu geben. Ringsum ist ausgelassene Stimmung und bei den Herren meines Alters sind glückliche Gesichter zu sehen. Wie in alten BUTLERS- und RENFT-Zeiten ist mein Bier inzwischen ausgetrunken und die Bratwurst vernascht - „Same procedure as every year.“ Wer jetzt meint, die Jungs hätten so langsam ihr Pulver verschossen, liegt so weit daneben, wie der Goldene Reiter von der Elbe weg steht. Die beiden Gitarristen, „Ritschie“ und Falk Johne, an der linken Bühnenseite, nehmen sich ihre akustischen Gitarren und ehe ich recht staunen kann, erklingt auf zwölf Gitarrensaiten eine Melodie, die sofort beinahe jeder erkennt. „Als ich fortging“ wird einfühlsam gesungen und dezent auf zwei Gitarren begleitet - das hat schon was Ehrfürchtiges. Ich stehe mit meinem Digi-Knipser davor, singe leise mit und glaube die Überraschung gerade verdaut zu haben, da erklingt das Orgel-Intro zu „Wer die Rose ehrt“. Mag sein, ich bin etwas voreingenommen und mag auch sein, zu sehr Gefühlsmensch, aber was da erklingt, ist so nah am Original, dass ich meine, die alte KLAUS RENFT COMBO musizieren zu hören. Die warme Bariton-Stimme von „Ritchie“ macht den Sound und die Illusion perfekt, denn sie klingt so nah am Timbre von Cäsar, dass ich, von Gänsehaut übersäht, wortlos da stehe. So gespielt hatte ich die „Rose“ schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gehört – „Same procedure as years ago“! Mit liebevollen Worten wird an die legendäre Combo, deren verbliebene Keimzelle tatsächlich auf der Rampe steht, erinnert. Was bin ich glücklich über meine Entscheidung, hier den 1. Mai zu verbringen und weil es so schön ist, singe ich noch den „Apfeltraum“ und das „Gänselieschen“ mit, um meine Textsicherheit zu prüfen. Ich stehe glücklich und ein wenig verloren vor dieser Bühne, denn die da sitzen, sind „Laufkundschaft“ und ahnen nicht, wem sie lauschen. Man stelle sich vor, Tony Sheridan & Band würden in Dresden ein kostenloses Konzert geben und die Verehrer von Andrea Berg und Wolfgang Petry würden erscheinen. Kein Beatles-Fan. Genau so habe ich diesen Sonnennachmittag empfunden, ganz allein und fremd unter Gartenfreunden. Den ganzen Nachmittag frage ich mich, wo diejenigen wohl sind, die so viel von RENFT als der großen Legende sprechen, so oft im Jahr zu deren Konzerten fahren, so viel davon wissen wollen und dennoch die BUTLERS, eine der letzten „Fossilien“ der Beat-Bewegung hierzulande und der ach so gelobten „Ostrock“-Heroen RENFT, schlicht verpassen bzw. ignorieren. Nix Ahnung und manches erklärt sich wortlos. Egal, die BUTLERS greifen die ganze Zeit tief in die Ramschkiste der Beatmusik und manche schöne Perle wird zum Klingen gebracht. Es ist, als wären die Jahrzehnte nicht gewesen, so frisch kracht der Sound der 1960er im Heute. Bei „Out Of Time“ (Rolling Stones) singe ich mit, bei ihrem „Under The Boardwalk“ schnipse ich mit den Fingers und die Hymne „Mr. Tambourine Man“ in der Version der Byrds geht mir singend unter die Haut. Und dann höre ich doch tatsächlich jene drei Akkorde, die der Franzose Michel Polnareff damals über den ganzen Planeten schickte! Lauthals jubeliere ich bei „La Poupee Qui Fait Non“ und diesem „Non Non Non Non“ mit, als wären meine Pennejahre erst gestern gewesen. Zeit ist eben doch relativ und spielt in solchen Augenblicken gefühlt gar keine Rolle. Das ist ein Nachmittag zum Auftanken, von „Love Me Do“ (Beatles) über „Stand By Me“ (Ben E. King) bis hin zu „Nights In White Satin“ (Moody Blues), inklusive der Hommage an die Klaus Renft Combo mit ein paar von deren schönsten unsterblichen Volksliedern. Herz, was willst du mehr? Ich trinke ein Bier, kaue Bratwurst, habe Sonne und als „No Milk Today“ (Herman’s Hermits) erklingt, auch noch die Erinnerung an meinen Vater, der diesen Klassiker so sehr gemocht hatte. Gemeinsam mit „Schmidtie“ habe ich mich hinter der Bühne an die 1960er und die Beat-Schuppen in Ruhland und Elsterwerda erinnert, an die Abende in verrauchten Kneipen und an die viele tolle Musik, die in jenen wilden Jahren gespielt wurde, einschließlich jener Zeit, als Hansi Beyer bei Renft der Sänger war. Irgendwann werden wir uns noch einmal sehen bei „einer Band wie aus den 1960ern“, um dem Beat und dem Sound zu lauschen, der mein Leben und das vieler anderer veränderte und bestimmt hat. So viel Zeit im irdischen Leben muss sein, denn die Gelegenheiten werden immer seltener und wenn sie mal zum Greifen nah sind, sollte man die immer seltener werdenden Chancen nutzen.