Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Blackheart Orchestra - ein Hauch Pop-Avangarde aus UK 18.11.2017 Wozu in die Ferne schweifen, wenn für weniger Geld bessere, frische und unverbrauchte Musik live zu hören ist? Warum hin zu den großen Hallen pilgern, in denen man sich wie eine Sprotte in ölige Masse gepresst fühlt, wenn man es auch gemütlich und intim haben kann? Nichts gegen die wirklichen guten Klassiker, nichts gegen alte Säcke neu verpackt, aber Neues zu erleben, Erstaunliches gar, macht das Leben eines Musikliebhabers erst abwechslungsreich und hält dessen Sinne lebendig. Wirklich Neues in Sachen Pop-Musik scheint noch immer im Mutterland der Beatles, Sex Pistols oder Tears For Fears zu entstehen. Von dort schwappt ab und an auch die Kunde von einer „must-see-band“ herüber und manchmal hat man das Glück, einen Termin in der Nähe zu erwischen. So wie heute. Auf dem Podium im Volksbad Buckau ist ein Arsenal ganz unterschiedlicher Klangerzeuger aufgebaut, vorwiegend Tasteninstrumente und Gitarren. Es sieht nach einer Band aus, aber dieser erste Eindruck täuscht. Das BLACKHEART ORCHESTRA besteht lediglich aus zwei Multi-Instrumentalisten, denen aus England ein besonderer Ruf, der des aus dem Rahmen fallenden, vorauseilt. Beispiele dieser Art gab es in den vergangenen Dekaden mehr als genug und mit ein wenig Glück, so meine Hoffnung, erlebe ich ein Projekt, das später genau so bewertet werden muss oder im Pop- Gedächtnis haften bleibt. Minuten später stehen Beide auf der Bühne, fast versteckt hinter all dem „Werkzeug“. Ein Typ wie ein gestandener Rocker, urwüchsig und kantig, plus eine junge Schönheit mit feuerrotem Haar, wild und faszinierend zugleich. Er steht an den Tasten, sie nimmt eine der Gitarren und in einen pulsierenden Sound hinein schwingt eine helle Elfenstimme wie klares Gebirgswasser. Ich bin überrascht, zugleich fasziniert vom spartanisch elitären Sound, in dem eine coole Eleganz schwingt. Für den zweiten Song nimmt sich RICK PILKINGTON eine der Akustikgitarren, der er so etwas wie tanzende Töne entlockt. Bei „Hypnotize“ zaubern Gitarre und Tasten ein schwirrendes Klanggeflecht und mittendrin schwelgt die Stimme von CHRISSY MOSTYN und bauscht das Stück wie eine kleine Symphonie auf. Man meint, eine Folk-Gitarre hätte sich in ein Streichquartett gedrängt. Mir wächst eine Gänsehaut, denn live habe ich so etwas noch nie gehört. Es ist faszinierend, wie die zwei Musiker scheinbar gegensätzliche Stile nahtlos ineinander fließen lassen und ihre technischen Möglichkeiten nur minimalistisch nutzen. Jedes ihrer Stücke malt eine andere Klanglandschaft in meine Ohren und löst fragile Assoziationen aus. Alles, was ich in diesen Minuten zu hören bekomme, ist neu für mich und dennoch meine ich, da eine ganze Palette mir bekannter Fragmente zu entdecken. Mal klingen die Keyboards wie bei der Numan’s Tubeway Army, dann glaubt man klassische Einflüsse zu entdecken und dazu singt eine Frauenstimme in Stil von Kate Bush. In manchen Passagen klingen die beiden wie ein Orchester, um beim nächsten Mal nur zu Percussions-Effekten zu singen. Unter anderem bekommen wir mit „I’m Yours“ eine Musik zur TV-Serie „Charly & Me“ zu hören. „I’m Yours“ besingt eine Astronautin, die alles in im Leben, auch ihre große Liebe, zurücklassen möchte. Es scheint so, als hätte jemand den zerbrechlichen Klang eines Spinetts für einen Pop-Song entdeckt und daraus eine Ballade gebastelt. Sehr fragil und wunderschön zugleich. Jedes Ihrer Stücke, egal, ob das zarte „Sebastian“ oder „Fear Of Flying“, scheint zu groß für den kleinen Raum. Doch es sind genau diese Intimität und der Zauber des Unvorhersehbaren, der für mich den Reiz an diesem Abend ausmachen. Mal haucht CHRISSY die Töne ins Mikrofon, um plötzlich wie ein explodierender Vulkan die Emotionen, durch ihre rote Haarpracht hindurch, herauszuschreien. Beide steigern sich, sie schichten Vokalwände, ähnlich wie bei Mike Oldfield, übereinander und lassen dann dieses Klanggewitter wie eine riesige Blase auseinander bersten. Ganz zum Schluss wird es dann richtig brachial laut. Bei „Everthing You Wonna“ greift RICK zum Geigenbogen und bearbeitet mit ihm die Saiten seiner Gitarre nach dem Vorbild von Jimmy Page. Was für ein krachendes Inferno! Es herrschte ein ständiges Wechseln der Instrumente auf der Bühne. Wenn man glaubt, sich an einen der komplexen Klänge gewöhnt zu haben, kommt im nächsten Augenblick eine Melodie minimalistisch und äußerst dezent daher. Gitarren, Bass, Synthies und sogar ein Omnichord erfüllen ganz bestimmte Klang-Funktionen oft nur für ein einziges Lied. Da ist jeder Song, zumal mir oft völlig unbekannt, eine neue und andere Erfahrung. Auf der einen Seite die akustische Finesse der Folkgitarren, zu denen sich andererseits die pulsierend rhythmischen Electronics der Moderne fügen und daraus eine oftmals sehr filigrane Soundchoreografie weben. Doch jeder Klang, gleich welcher Struktur, wird von der weich bis grell modulierenden Stimme der rothaarigen CHRISSY MOSTYN dominiert und nur manchmal, weit im Background, wird sie von einer warmen Männerstimme unterstützt. Diesen Liedern, ganz gleich, ob sie den eigenen Geschmack treffen oder nicht, kann man sich nur schwer entziehen. Sie versprühen eine einzigartige Faszination von dunkler romantischer Schönheit, in der sich eine Lyrik versteckt hält, die, so wie im elegisch schönen „Wake Up“, verträumte Bilder und zerbrechliche Gedankenwelten für eine moderne Schneewitchen-Story zeichnet. Da sitze ich dann einfach vor dem Podium und träume mir zu den fremden Worten und Melodien des Albums „Diving For Roses“ eigene Bilder ins Kopfkino. An diesem Abend fühle ich mich wie ein Entdecker. Zwar gibt es das BLACKHEART ORCHESTRA schon seit zehn Jahren sowie vier Alben und die beiden Songwriter und Instrumentalisten CHRISSY MOSTYN und RICK PILKINGTON sind im Mutterland der modernen Pop-Musik mit Preisen geehrt, für mich aber ist dieses Konzert eine neue Erfahrung. Die Beiden sind ein Beleg dafür, dass man nicht abgesicherte Wege gehen muss, um erfolgreich zu sein. Die Suche nach Innovation und das Wagen eines Risikos, sich auf Experimente einzulassen, dringen vielleicht tiefer in die Herzen und Seelen. Mir sind nach dem Konzert zwei offene und an Gesprächen interessierte Musiker begegnet, die genau diesen Weg gehen. Verwundert hat mich nur, dass ich fast nur Meinesgleichen, anstatt Vertreter der jüngeren Generation bei diesem Konzert sah. Sind wir wirklich schon dort angekommen, wo alle naselang einem anderen Star aus Bohlen’s Casting-Retorte blind zugejubelt wird? Für mich ist das BLACKHEART ORCHESTRA ein sehr lebendiges und innovatives Mini-Band-Projekt, eine reizvolle Überraschung in der ansonsten eher tristen und gleich klingenden Musiklandschaft. Beide Musiker möchten im kommenden Sommer wieder nach Deutschland kommen. Ich hoffe, auch wieder in meine Nähe.