Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Black Rosie rocken den Schäferhof 08.08.2020 Vor vielen, vielen Jahren kamen über den großen Teich einige Vinyl-Platten zu mir geflogen. Die eine trägt den Titel „Easy“ und wurde 1965 von den Easybeats in Australien veröffentlicht. Damals spielte George Young die Rhythmusgitarre. Der hatte zwei Brüder. Die beiden formierten zehn Jahre nach der Gründung der Easybeats, nämlich 1973, ebenfalls eine Rock-Band und deren Name verdanken sie der Nähmaschine ihrer Schwester Margaret. Die Brüder Agnus und Malcolm Young eroberten mit AC/DC die ganze Welt und ihr älterer Bruder George, der Gitarrist von den Easybeats, war ihr Taufpate. Dass dessen älterer Bruder Alexander Bassist bei Grapefruit war und mit ihnen den Welthit „Dear Delilah“ einspielte, sei nur noch der Vollständigkeit halber erwähnt. Die Scheibe der Easybeats aber genießt in meinem Regal einen Sonderstatus, denn sie dokumentiert, neben vielen anderen Platten, jene wilden Jahre, in denen ich begann, mich für Beat- und später Rockmusik zu interessieren. An AC/DC konnte damals noch keiner denken, doch fast ein halbes Jahrhundert später geben die ergrauten Fans noch immer das Letzte, wenn die knallharten Riffs der Young-Brüder in ihre alten Knochen eindringen und die „Hells Bells“ dazwischen zum Klingen bringen. Ich habe die von Horst gehört und die vom Nackedei auch gesehen. So wahr ich das hier schreibe! Es geschah in Langenstein, knapp zehn Kilometer vor meiner Haustür. Dort gibt es neben den engen alten Höhlenwohnungen ein einzigartiges Freibad, einen beschaulichen Park, eine Bahnstation sowie den Schäferhof. Vor dem stelle ich meine rollende Blechdose in der abendlichen Sonnenglut ab. Im Innenhof wartet schon ein Fanclub aus Hannover, inklusive einem Horst, sowie die Harz-Rock-Jünger der Weiberkapelle „Schwarze Roswitha“ (oder so ähnlich). Inzwischen gehöre ich auch ein wenig dazu und warte auf deren Erscheinen … und dann heißt es „Let There Be Rock“ unterm Abendhimmel und die fünf Ladies ballern uns Hell Ain’t A Bad Place To Be“ aus kurzer Distanz vor den Latz. Wow, endlich wieder echter Rock’n’Roll und direkter Druck aus Marshall-Boxen. Wie habe ich das Gefühl von „Dirty Deeds“ vermisst und die auch quasi „spottbillig“ in den Hut! Die versammelte Schäferhof-Gemeinde lässt sich von Front-Rampensau KARO binnen Sekunden von Null auf Hundert puschen, während die weiße Gibson von GABY die Luft zwischen uns und der Band mit scharfen Riffs kurz und klein häckselt. Aus dem beschaulichen kleinen Langenstein ist „Sin City“ geworden und Horst rockt wie wild im staubigen Gras vor der Bühne, wenn das nicht gerade von KARO und GABY für eine Wiesen-Performance in Beschlag genommen wird. Es gibt keine Bühne, kein Podest. Das „Kesselhaus“ der Band ist unter das Dach der Grillecke gebaut und die Zuhörer sitzen im weiten Halbrund an Tischen und auf Bänken. Diese Distanzen sind Corona-tauglich, aber nicht unüberwindbar. Wirbelwind KARO überspringt sie mit Leichtigkeit und heizt dem „Mittelalter“ schon mal von der Tischplatte ein, ehe sie wieder head-bangend die schwülwarmen Lüfte durcheinander wirbelt. Unter dem Dach treibt eine stampfende Rhythmusgruppe - JEANINE am Bass, DAJANA hinter der Schießbude und DÖRTE mit der zweiten Gitarre - die beiden Frontweiber im Staub des Schäferhofes bei „Back In Black“ an und jagt uns schließlich auf den „Highway To Hell“. Jetzt ist Horst in Höchstform und dirigiert, beinahe vor mir stehend, seine Rock-Ladies bei „Beatin’ Around The Bush“ voller Enthusiasmus durch die knallharten Breaks. Der „Rock’n’Roll - Train läuft auf Hochtouren und mir rinnt, nur vom Sitzen und Zusehen, der Schweiß in den Nacken. So what - wen interessiert’s! In der aufkommenden Dämmerung zu den Klängen von „What’s Next To The Moon“ begeistert Horst sich und alle anderen mit einem gelben „Ortsschild“ für BLACK ROSIE, das er, triumphierend und voll Stolz, durch den Innenhof trägt. Überall ist „High Voltage“ zu spüren und KARO versucht, die Massen zum Mitsingen zu animieren: „If You Want Blood“ schreit sie uns entgegen und wir sollten ihr richtig „You’ve Got It“ antworten, doch stattdessen brüllt einer von hinten „Dann kommt Horst!“. Da bleibt selbst KARO für ein paar Momente die Spucke weg. Sie muss auch lachen, treibt uns dann wieder mit „You Shook Me“ an und alle antworten mit „All Night Long“. Die AC/DC Party ist auf dem Höhepunkt angelangt. Überall wird getanzt oder gesungen, man jubelt und hüpft und alles wäre richtig schön und wundervoll wäre da nicht ein ungebetener Gast namens Corona. Deshalb wird, bei all der Euphorie, immer schön aufgepasst und Abstand gehalten, denn nur ein „Touch Too Much“ und … Trotzdem genieße ich es, der Hexerin mit der Gibson auf die flinken Finger zu schauen und sie bei den Soli, stehend oder im Gras, zu bestaunen. Da ist eine mit allen Fasern ihres Herzens in der Musik ihrer Idole verwurzelt, ein Star, und dennoch nur eine von fünf „schwarzen Rosen“, denen ich still und leise meinen Respekt zolle. Das haben wohl Agnus und Malcolm Young auch ähnlich empfunden, wie deren Signaturen auf der weißen Gibson erahnen lassen. Als letztlich „TNT“ in die Dunkelheit kracht , bin ich einfach nur glücklich, diese geballte Ladung puren Rock’n’Roll in mich aufsaugen zu können. Das tut meiner Seele, als auch den morschen Knochen, gut und es reicht außerdem, noch die Zugabe „Whole Lotta Rosie“ in vollen Zügen einzuatmen. Ein unscheinbarer Nackedei zeigt es auf seine Weise und deshalb sei es ihm gegönnt, obwohl die männliche Schönheit hatte ich anders in Erinnerung. Dass nun bald Schluss sein wird, darauf weisen zwei Stunden vor Mitternacht die dröhnenden „Hell’s Bells“ hin. Noch einmal zerreißt ein kantiges Riff der Gibson die Nacht und noch einmal singt der Chor der Harz-Rock-Rentner gemeinsam mit Rock-Röhre KARO mit Leidenschaft und viel Sehnsucht unter dem Sternenzelt von Langenstein – doch dann ist die Party aus und vorbei! Am Ende bleiben viele glückliche Gesichter, junge und ältere. Mittendrin ein begeisterter Rock-Renter, dem der Adrenalinspiegel bis unter die Schädeldecke steht. Die Jahre und Dekaden zählen nicht, wenn sich das eigene Herz jung fühlt und ein Horst seine Begeisterung in vollen Zügen auslebt. Ich beneide Typen wie ihn, die alle Zwänge ablegen und sich ihrer schlichten Freude völlig frei und ungezwungen hingeben können. Freiheit ist nicht zwingend der Urlaub im Süden, ein protziges Gefährt oder gar die eigene Villa. Das kann man sich kaufen oder eben nicht. Frei sein bedeutet, unnötige Zwänge beiseite zu schieben und sich entfalten können, ohne andere damit zu belästigen oder sie einzuschränken. Wer das (er)leben möchte, der sollte sich eines der Konzerte von BLACK ROSIE gönnen und darauf hoffen, dass dann Corona abwesend und Horst wieder dabei ist.