Erinnerung an Bernd Dewet Bornschein
(30.10.1949- 27.07.2006) 27.07.2018
(Dies ist meine persönliche Erinnerung an den Musiker, keine Biografie mit Anspruch auf Vollständigkeit.)
Wir schreiben das Jahr 1983 und ich stehe im kalten Februar mit einem Bekannten auf dem Bahnsteig von Doberlug-
Kirchhain. Damals war dieser Bahnhof eine rege genutzte Umsteigekreuzung zwischen Berlin und Dresden sowie
zwischen Horka und Falkenberg. In diesen Zug sind wir auch eingestiegen, um von Falkenberg aus nach Leipzig
weiterzufahren. Unser Ziel war Suhl, um in der Bezirkshauptstadt an der VI. Werkstattwoche FDJ-Jugendtanzmusik
teilzunehmen. Hinter dem sperrigen Begriff verbarg sich ein eher lockerer Treff von Musikanten, Nachwuchsmusikern
und Musikliebhabern. Man sah sich neue Programme an, schaute sich Ideen ab, holte sich Anregungen und ich
entdeckte einiges, was ich mein Leben lang nicht wieder vergessen würde. Doch auf dem Bahnsteig warteten wir erst
einmal auf eine langweilige lange Bahnfahrt. Mir graute schon damals davor, in einen überfüllten Zug einsteigen zu
müssen.
Das weiß ich deshalb noch so genau, weil mir dieses Umsteigen zu einer echten
Zufallsbekanntschaft mit einem Musiker verhalf, der ebenfalls mit diesem Zug
von Cottbus nach Suhl fuhr. BERND DEWET BORNSCHEIN war mir bis zu diesem
Moment quasi völlig unbekannt. Ich konnte seine Lieder nicht zuordnen und sein
Gesicht hatte ich auch noch nirgends gesehen. Von diesem Moment an, als wir
im Gang neben einem langhaarigen Bartgesicht zu stehen kamen, ist mir der
überschäumend lustige Typ, mit seinem stets fröhlichen Grinsen im Gesicht, nie
wieder aus der Erinnerung gegangen. Diese Fahrt im überfüllten Zug, über Leipzig
nach Suhl, war lang, aber sie war eine der kurzweiligsten Zugfahrten, die ich je in
meinem Leben erleben durfte. Aus dem Mund von Rauschebart DEWET sprudelten
die ganze Zeit unablässig Witze, derbe Sprüche und deftige Späße. Wir mussten viel
und oft lachen und wenn einmal nicht, gossen wir uns wahrscheinlich ein Bierchen
Marke Watzdorf hinter die Binde, um danach sofort wieder in den Lachmodus zu
verfallen. BERND DEWET war ein unverwechselbares Original, ein Typ und Unikum
wie KNIPPE von Possenspiel.
In Suhl erlebte ich tagsüber ganz unterschiedliche Programme, hörte mir bis dahin unbekannte Bands wie Brom Oss
oder Smokings an. Abends ging man zu sogenannten Beispielkonzerten, über die man danach diskutieren konnte, wenn
man wollte. Ich sah damals das neue Programm „Computerkarriere“ der Puhdys in der Stadthalle und als Vorband die
zwei Jahre zuvor gegründete Kapelle Rockhaus, die den Leuten ziemlich einheizte. Danach ging man in den
Musikantenclub, um den Tag bei Getränken, Gesprächen und musikalischer Unterhaltung, von Klamauk bis
Nervennahrung, ausklingen zu lassen. Dort, meist erst nach 22.00 Uhr, erlebte man das eigentliche Musikantenleben
live und hautnah mit. Man ließ, falls man noch welche hatte, die Zügel los und gab seinem Affen Zucker. Schließlich
waren die Musikanten hier unter sich und oft kam es vor, dass ein Spontanauftritt die Nacht bis zum frühen Morgen
dehnte. Diese nächtlichen Stunden im Musikantenclub waren im Nachhinein die eigentlichen Höhepunkte der Tage in
Suhl, voller Atmosphäre und quirligen Musikantenlebens.
Einer, der als Musikant und Typ diese Lebensweise sehr authentisch repräsentiert und gelebt hat, das war unsere
Zugbekanntschaft BERND DEWET BORNSCHEIN. Der hatte schon mit HORST KRÜGER, der Gruppe KRAKATOA,
EXTREM und mit WINNI 2 die Konzert- und Tanzsäle unsicher gemacht und dabei seinen ganz unverwechselbaren Stil
als einziger „Rock’n’Roll-King aus dem Thüringer Wald“ entwickelt. Seit diesem Abend gelang es mir endlich, diese
Lieder dem richtigen Gesicht zuzuordnen. Seine urigen Texte mit ausgefallenen Ideen zu mitreißender Musik und das
alles mit ein wenig Dialekt und sehr viel menschlicher Ausstrahlung vermischt, ergab eine Mixtur, die eben nur BERND
DEWET glaubhaft und mit unübertroffenem Charisma präsentieren konnte. Das erlebten wir auch abends im
Musikantenclub, wo ich neben dem „Rock’n’Roll–King aus dem Thüringer Wald“ zum ersten Mal dieses „Bratwurstlied“
sowie den skurrilen „Harry Hammer“ zu hören bekam. Da ich selbst einer der größten Bratwurstfans des Universums
bin und seither diesen Urtyp von einem „Musikanten“ verehre, ist der „Bratwurstsong“ vom Cottbuser Original meine
heimliche Küchenhymne geworden. Manchmal singe ich die Melodie, wenn ich in der Küche am Werkeln bin, im
Wechsel mit der anderen Thüringen-Hymne von BERND DEWET, dem „Zwiebelmarkt in Weimar“, den er an jenem
Abend auch besang. In solchen Momenten denke ich sehr gern an jene Abende im nächtlichen Musikantenklub von
Suhl. Dann sehe ich ihn vor mir, mit Rauschebart und Hut, wie er mit tänzelnden Bewegungen, einer Comic-Figur
ähnlich, seine fröhlichen Lieder schmetterte und die Leute zu Begeisterungsstürmen hinriss.
„Vor langer Zeit da spielte er den Blues in Weimar“, so lautet, leicht abgewandelt, die erste Zeile des sicher
erfolgreichsten seiner Lieder. Dahinter verstecken sich stark autobiografische Erinnerungen, wie ich inzwischen weiß.
Der als Thüringer bekannte und später in Cottbus lebende „Rock’n’Roll-King“ kam nämlich hier im Harz, genauer in
Benneckenstein, zur Welt. Vom Wald im Südharz zog es seine Eltern in den Wald nach Thüringen, wo er in Weimar
aufwuchs. Bei einer Mugge auf dem Land, so will es die Geschichtsschreibung, wurde er von Horst Krüger entdeckt und
zum Singen „gezwungen“. Unter der erfahrenen Anleitung von Luise Mirsch wurde eine völlig neue Art Thüringer
Volksmusik unter das Volk der DDR gejubelt: Die Hymne auf den „Zwiebelmarkt in Weimar“ und die Ode an besagte
„Thüringer Rostbratwurst“ wurden von ihm getextet und die Musik steuerte Altmeister Horst Krüger bei, der auch
eigene Nummer wie „Ach nee, nanu, wer bist denn du“ (1976) verzapft hatte. Später bei der lustigen Kapelle WINNI 2
durfte DEWET zudem seine komödiantische Ader auf der Bühne live austoben, bis ihn der bösartige Krebs zwang, als
Sänger zu verstummen.
Nach diesen Tagen in Suhl ist mir DEWET, der Comic-Narr, nie wieder über den Weg gelaufen. Seine Spur verlor sich
(für mich) und so etwas wie eine Schallplatte bei Amiga war ihm leider auch niemals vergönnt. Erst nach dem
politischen Wende-Roulette und den Möglichkeiten des Internets, fand ich seine Spur wieder und dadurch seine Musik-
Kneipe „Comicaze“ in Cottbus. In mir reifte der Plan, den Musiker aufzusuchen und wenn möglich, ein Konzert zu
erleben, aber wenigstens mit ihm zu reden. Doch am 27. Juli 2006 verstarb er, der nur einen Monat nach mir geboren
wurde, zu früh an Krebs, der ihn neun Jahre zuvor schon am Kehlkopf erwischt hatte. Wieder war es dieser
Scheißkrebs, der einem unverwechselbaren Musikanten, Original und liebenswerten Chaoten das Mikrofon und seinen
Fans gute einzigartige Musik verweigerte. In den acht Jahren, in denen er Chef des „Comicaze“ sein durfte, hat er
vielen Menschen glückliche Momente beschert, leckeres Bier ausgeschenkt und jungen Nachwuchsmusikern eine Bühne
gegeben. Der Legende nach soll er stets beim letzten Song dieser Bands selbst zur Gitarre gegriffen haben. BERND
DEWET BORNSCHEIN, der Rock’n’Roller vor dem Herrn, wurde leider nur 56 Jahre alt und ist inzwischen, sehr zu
Unrecht, irgendwie in Vergessenheit geraten. Das würde ich gern mit meinen Zeilen ein wenig ändern, wieder die
Neugier wecken oder gar jemanden finden, der noch etwas mehr über den „Rock’n’Roll-King“ oder „Harry Hammer“
erzählen und mir seinen „Bratwurstsong“ spendieren könnte.
Bernd Dewet im Cottbuser Comicaze mit seiner Schwester - vielen Dank, Cordula.