Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Baraban trommelten In Wernigrode: 18.06.2022 Die Sambagruppe Baraban sah ich tatsächlich nur aufgrund eines Irrtums meinerseits. In Italien gibt es nämlich eine bekannte Folk-Band gleichen namens und die meinte ich, beim aktuellen Rathausfest in Wernigerode, erleben zu können. Nach einer halben Stunde Schlager-Tralala und Playback kündigte der Sprecher endlich Baraban an. Schon vorher liefen Musiker mit Trommeln und Pauken hastig am Bühnenrand vorüber und stellten sich nebenan, vor der Rathaustreppe, auf. Bei mir machte es (zum Glück) Klick, ich folgte ihnen und im großen runden Pulk der Zuschauer fand ich noch einen feinen Stehplatz. Statt Folk aus der Po-Ebene, gab es Samba- und Rumba-Rhythmen aus Wernigerode auf die Ohren. Inmitten von dicht gedrängten Besuchern stehend, knallen mir die ersten Trommelschläge entgegen. Direkt vor den ersten Zuschauern agiert eine schwarz gekleidete Gruppe mit großen bunten Helmen, die den Köpfen von Hähnen nachempfunden sind. Mein Gott, sind die riesig und das bei dieser Hitze! Die Musiker bearbeiten ja nicht nur die Trommeln und Pauken, sondern der Auftritt folgt einer zuvor erarbeiteten Choreografie. Man bewegt sich, man dreht sich, tritt nach vorn, zur Seite und zurück. Der Auftritt ist eine Augenweide, er ist laut und die Rhythmen entwickeln sich dynamisch, werden schnell oder auch mal langsamer. Diese Mixtur geht in die Beine und drängt die Füße, den Körper wippen zu lassen. Diese bunte Truppe vor der Treppe spielt sich die Seelen aus ihren schwitzenden Leibern. Jedes der Trommelstücke dauert mindestens gefühlte zehn Minuten. Die Sonne brennt, in der Luft steckt Hitze und das Pflaster des Marktplatzes scheint zu beben. Bei den Damen und Herren in ihren schwarzen Kostümen rinnt der Schweiß, aber die Dynamik bleibt ungebrochen, reißt die Besucher mit. Es ist der blanke Wahnsinn und ich stehe begeistert mittendrin. Ich erinnere mich, so etwas Ähnliches beim Tribut für Gundermann schon einmal gesehen und gehört zu haben. Diese Truppe hieß Rakatak, kommt aus Berlin-Pankow und begeisterte die ganze Columbiahalle. Leider ist deren Auftritt auf der DVD nicht dokumentiert, wahrscheinlich entfernt worden. Die Samba-Band Baraban absolviert ihren Auftritt unterm glutheißen Abendhimmel eine ganze Stunde lang und nur mit kleinen Erfrischungspausen zwischendurch. Immer wieder werden die Musiker und deren Cheftrommler, oder sagt man Vortänzer, aus dem Publikum angefeuert. Pfiffe gellen und laute Schreie sind zu hören. Dass ich eigentlich eine Folk- Band besuchen wollte, ist längst vergessen. Ich bin restlos begeistert, überrascht sowieso und glücklich, das rauschende Konzert erleben zu können. Auch ein landesweit bekannter Neu-Harzer Musiker lässt sich davon begeistern. Immer wieder werden die Rhythmen gewechselt, neue Aufstellungen eingenommen und die Choreografie geändert. Das alles direkt vor der eigenen Nase sehen zu können, ist faszinierend. Mein ganzer Körper befindet sich längst in rhythmischer Bewegung, so wie alle neben mir auch. Plötzlich beherrschen alle im Rund Samba und Rumba, den Musik und Rhythmus verbinden die Menschen, lassen Seelen und Herzen im Gleichklang schwingen. Nach einer reichlichen Stunde ist die Trommelshow leider beendet. Völlig verschwitzt, aber glücklich, nehme ich mir vor, den nächsten Auftritt von Baraban, gleich um die Ecke in Blankenburg, nicht zu verpassen. In Zilly: 09.07.2022 Das kleine Örtchen Zilly liegt irgendwo im Nirgendwo, zwischen Harz und Huy, gut versteckt und doch leicht zu finden. Berühmt durch ein Technik-Museum mit der Biker-Scheune, lockt es mich diesmal mit den Zilly-Games, wo dörfliche Hochstapler Bierkästen zu Türmen schichten und andere rustikale Spiele treiben. Als Höhepunkt aber sollen die Trommler von Baraban aus Wernigerode das Harzvorland zum Beben bringen. Ich freue mich, das bunte Harzer Samba- Ensemble, zwischen Hüpfburg, Bierzelt und Bratwurststand, heute ein zweites Mal zu erleben. Das Bierzelt ist gut gefüllt, die Mäuler offensichtlich auch. Der Rhythmus einer einzelnen Trommel beendet das gemütliche Dorfgeschnatter unterm Zeltdach und elf weitere Trommler nehmen den Rhythmus auf. Zwölf dunkle Gestalten mit bunten Fantasiemützen schwingen von nun an für eine volle Stunde das Stimmungszepter. Schlagartig verzieht sich die große Wolke am Himmel und abendliche Sonnenfinger lassen die bunten Kopfbedeckungen in leuchtenden Farben erstrahlen. Der „Einzug der Trommel- Gladoren“ ist eine einzige Zeremonie laut scheppernder Lebensfreude, ein Aufrütteln und Auffordern zum Mitmachen, oder wenigstens zum Mitklatschen. Der Vortrommler in schwarz müht sich nach Kräften, die bunten Trommelbrüder und –Schwestern strotzen vor Energie und guter Laune, doch die Dorfgemeinschaft zögert noch. Die erste Runde geht deshalb an die Samba-Truppe, die sich jetzt eingespielt hat … …. und das nächste Trommelgewitter startet. Die Kapelle feiert sich und ihre Rhythmen, sie steckt mit Spielfreude und Begeisterung nun auch die Dorfgemeinde an, die ihnen zujubelt. Mich begeistern die Samba- und Rumbarhythmen ebenso, wie die Choreografie der Tanzbewegungen. Man bewegt sich in Reihen gemeinsam, doch manchmal treten auch solistische Beiträge mit Rasseln und Klappern in den Vordergrund, so dass zum Ohrenschmaus stets auch das Auge zu staunen hat. Die Kopfbedeckungen in ihren unterschiedlichen Formen und Farben ziehen ohnehin die Blicke magisch an, wenn sie sich im Takt drehen oder taktvoll nicken. Auch diesmal bin ich wieder begeistert und würde am liebsten vorn beim Trommeln mitmischen. Das denke ich aber nur ganz allein für mich und genieße stattdessen das Bild vor mir. Inzwischen sind die Samba-Enthusiasten zu Höchstform aufgelaufen. Der Vor-Trommler mit dem Hahn in schwarz auf seinem Kopf animiert seine Pauker und Trommler immer wieder mit neuen Späßen und spaßigen Einlagen. Es gibt nicht einen einzigen Moment Stillstand, keinen Trommelschlag ohne Schritt oder Drehung. Schon einen Moment später ändert sich die Aufstellung, bietet die Truppe ein anderes Bild oder löst sich für zwei Takte völlig auf. Es kommt mir gerade vor, als würde ich einen magischen Kulttanz, begleitet von rauschenden Trommelklängen, erleben und meine Fantasie gaukelt mir vor, ich würde eine Hundertschaft Samba-Trommler in Aktion gemeinsam mit Baraban bestaunen. Das wäre laut, imposant und gigantisch anzusehen. Eine schöne Vorstellung! Die letzte Nummer ist angekündigt und noch einmal geben die Baraban-Trommler alles. Die Rhythmen donnern über den Sportplatz, während direkt vor mir grüne, gelbe, rote und blaue Kopfkunstwerke im Gleichklang ihren Tanz der Lebensfreude vollführen. Mit Schrittfolgen, Drehungen und Bewegungen zu Samba- und Rumba-Rhythmen ziehen die Trommler noch einmal alle Register, um die Dorfbewohner zu begeistern und die antworten mit lautem Kreischen, Rufen und Pfiffen. Wie ein Tanz der Hexen mit dem Teufel, so fühlt sich diese abendliche Abschiedzeremonie in Zilly an. Noch eine letzte Verbeugung der Musiker, ein letzter Gruß von Samba-Baraban mit erhobenen Trommelstöcken, dann ist Schluss. Der Abend zieht langsam auf, während ich noch einmal langsam an der Bikerschmiede vorüber fahre, das rhythmische Dröhnen der Trommeln im Ohr und den dunklen Umriss des Brocken vor mir.