Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
AniLorak rocken den Schäferhof Langenstein 21.08.2021 Die einen versuchen sich, ohne jegliche Substanz, zum Superstar puschen zu lassen, während andere, ohne nennenswerte Medienunterstützung, die Bühnen rocken, bis die Fetzen fliegen. So erst kürzlich geschehen beim „Soulmate“-Release-Konzert von Hanna Rautzenberg & Band in Aschersleben. Dort brannte die Luft bei den eigenen Liedern einer 17-jährigen Rock-Lady. Den puren Rock’n’Roll erlebte ich bei Konzerten von Black Rosie mit Frontfrau Karo(lina). Wenn die vier Rock-Ladies ihre Versionen von AC/DC-Songs in die wilde Menge schleudern, ist jedes Mal die Hölle offen. Doch KAROlina kann, rückwärts gelesen als AniLorak, auch die ganze Bandbreite der „History Of Rock“ ausfüllen. Für einen Rock-Rentner die willkommene Anregung, dem abendlichen TV-Gesülze Adieu zu sagen. Der Schäferhof in Langenstein ist gut aufgeteilt und schon bestens gefüllt, als ich voller Erwatungen eintreffe. Die Menschen lauern förmlich auf gute Unterhaltung plus entspannte Geselligkeit und dieser Schäferhof ist der ideale Platz mitten im Ort, ein Biker-Treffen auszurufen. Stolz präsentieren sie ihre Leder-Outfits und T-Shirts, die „Bikerfreunde Langenstein“. Auch für mich ist schnell ein Plätzchen im Rund gefunden und die obligatorische Bratwurst genüsslich verzehrt. Es kann also losgehen. Aus den Boxen tuckert ein Rhythmus. Plötzlich knallt eine Folge kurz angerissener Akkorde in den Hof, krallt sich in den Gehörgängen fest und lässt das Blut pulsieren der „Summer Of 69“ in Langenstein hat begonnen. Die Stimme einer Rock-Lady aus dem benachbarten Derenburg hat das Zepter dieser Rocknacht übernommen und füllt sie mit „Hot Stuff“, nur rockiger als Donna Summer, aus. Na bitte, endlich wieder Rock’n’Roll, laut, wild und ohne Schnörkel. Als dann noch die „Venus“ aufgeht, ist ein Rock-Rentner glücklich wie ihn jenen Tagen, als diese Nummer noch die bezaubernde Mariska Veres mit dem „Schockigen Blau“ sang. Lang, lang ist’s her und vor lauter Begeisterung besingt der Chor der Biker die „Eisgekühlte Coca-Cola - und ein belegtes Brot mit Schinken“. Da muss ich schmunzeln und in meinem Kopfkino rasseln dazu die Bilder und Erinnerungen wild und bunt durcheinander. Die Stimmung im Schäferhof ist entspannt, man kennt sich eben. Der ungefilterte Rock’n’Roll bringt die Herzen in Wallung und KARO, die rockende Stimmungsgranate, weiß die Fans zu unterhalten und sie zu animieren. Keine Bank ist ihr zu schmal, kein Tisch zu hoch, um darauf nicht rocken zu können. Man jubelt ihr und dem Gitarristen Kai-Uwe Scheffler zu oder singt gemeinsam mit KARO „I’m simply the best“ ins Mikrofon. Als dann der alte Gassenhauer „Bad Moon Rising“ losgelassen wird, versuchen auch meine Klapperknochen, mit der Knipse in der Menge wandelnd, den Rhythmus aufzunehmen. So schön war es schon ewig nicht mehr, denke ich, als die vier Musikanten spontan (und abseits der Set-List) „Crazy Little Thing Called Love“ anstimmen! Einen besonderen Moment erlebe ich, als Kai-Uwe auf ein Buch hinweist, das von Musikern und Bands aus dem Harz handelt. Der Autor Ulrich Hardam hat auf 200 Seiten Geschichten heimischer „Kapellen, Combos, Bands“, so der Buchtitel, aufgeschrieben und mit zahlreichen Fotos belegt. Ihnen und diesem Buch ist „Rock’n’Roll Star“ gewidmet, ein Song mit deutschem Text und Bezug zum Buch. Im Lauf des Abends werden die Musiker noch ihr “Bähm” hinzufügen, das aus dem gleichen Grund entstand. Und es gibt tatsächlich noch Leute, die meinen, in dieser DDR hätte es nur „die drei Großen“ plus eventuell ein paar weitere (Staats)Bands gegeben. Doch allein in und um Wernigerode weist das Buch auf über 75 Kapellen hin, eine Zahl, die so einiges Dummdenken ad absurdum führt. Während einer Trink- und Pullerpause erfrage ich mir diese Informationen, denn Buch und Autor sind neu für mich (und sicher für andere auch). Wieder etwas Neues erfahren und dazu gelernt. Mit „I Love Rock’n’Roll“ geht es in die zweite Runde. Karo gibt uns die Joan Jett und Kai-Uwe lässt die Gitarrensaiten von der Leine. Die aufkommende Nacht wird von den Spots farbig angemalt. Am Bass zupft Jeanin Langgemach trocken stampfende Basslinien von „Notbus City Limits“ und Jens Kuge im Hintergrund liefert die präzisen Breaks und Beats, zu denen uns Karo die Tina gibt. Den Beatles-Fan in mir erfreuen die Musiker von AniLorak mit „Come Together“ und wieder sind es die tiefen Saiten von Jeanin, die dazu weich summen und surren. Ich sitze seitlich der überdachten „Bühne“, schaue in das Spiel der Farben und genieße eine Atmosphäre, die ich so lange vermissen musste. Zwei gestandene Rocker aus Halberstadt bittet Kai-Uwe ans Mikrofon und dann werden historische Gestalten aus genau jenem Buch zum Leben erweckt, das ich Minuten zuvor in den Händen hielt. „Highway To Hell“ und „Crazy Little Thing Called Love“, gesungen zunächst von Micky und danach von Carsten. Ich sag’s ja: Rock’n’Roll erhält jung und geschmeidig, ganz gleich, wie alt man wird. In diesen Momenten wackelt der Hoppelberg im Hintergrund und die Geister in den Höhlenwohnungen von Langenstein erwachen zu neuem Leben. Mir geht’s richtig gut und all den anderen Gästen augenscheinlich auch. Es muss nicht immer eine Show mit ausgeklügelter Dramaturgie und gestyltem Laser-Licht sein. Mir genügen sehr oft solides Handwerk und viel Herzblut, um ein bleibendes Erlebnis zu haben. Wenn die Musik dann noch genau auf die Zwölf trifft, ist meine Welt für zwei, drei Stunden wieder in Ordnung. Der Schäferhof ist nicht die Waldbühne in Berlin, die Stimmung hier ist dennoch kaum zu überbieten. Zwei Stunden vor der Geisterstunde dröhnt es „Radar Love“ aus den Boxen und meine klapprige Hüfte beginnt im Rhythmus zu schwingen: „Radio’s playin’ some forgotten song“, jubelt es in mir und manch in die Jahre gekommener Biker im Hof tut es auch. Lasst einige Leute weiter geschlechtslose „Vibes to go“ aus dem Netz inhalieren, gestreamt in die Lauscher pressen. In meinem Alter weiß man, warum diese Musik Rock’n’Roll heißt und die Songs nur live ihr volles Aroma entfalten KAROlina hat es auf den Punkt gebracht und „Rampensau“ ist natürlich ein Kosewort! Wer’s nicht glaubt, möge der wilden Rock-Lady aus Derenburg zum nächsten Konzert hinterher fahren, sich live bekehren lassen und einen frischen Schuss Adrenalin abholen. Die Zeit ist weit vorgerückt, als sich Karolina, Jeanine, Kai-Uwe und Jens mit den letzten Akkorden von uns verabschieden. Noch eine Verbeugung und ein letztes Gruppenfoto, dann kehrt langsam Ruhe ein im Schäferhof von Langenstein. Der schnelle Aufbruch ist nicht mein Ding. Gespräche ergeben sich in diesen Minuten von selbst und die Themen auch. Ich spüre, dass ich angekommen und aufgenommen bin, dazu gehöre und das tut gut. Das Erlebte wird also noch lange nachklingen und Vorfreude auf die nächsten Ereignisse stellt sich von selbst ein. Es ist noch lange nicht vorbei, denn ich bin ein ROCKER!