Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Angelika „Lütte“ Mann – Konzertlesung in Coswig 08.03.2011 Es ist Dienstag und wir schreiben den 08. März des Jahres 2011. Es ist der Ehrentag aller Frauen und dieses Ereignis jährt sich ausgerechnet heute zum 100. Mal. Eine „Altlast“ aus DDR-Tagen kann sich dahinter also nicht verbergen, denke ich mir. Für viele meiner Generation mit einer DDR-Vita war der „Internationale Frauentag“ stets eine zusätzliche Gelegenheit für ein Dankeschön und ein Grund zum Feiern sowieso. Inzwischen feiert die Gesellschaft ja den Muttertag, aber nach meiner Erfahrung sind längst nicht alle Frauen auch Mütter. Deshalb bleibt mir gar nichts anderes übrig, als auch in diesem Jahr den Frauentag aus der „Mottenkiste“ auszugraben und siehe da, viel freundliche Resonanz lässt nicht lange auf sich warten. Es gibt sie also immer noch, die Frauen, bei denen diese Überraschung gut ankommt und die sich darüber freuen. Und weil das so ist, entschließe ich mich spontan, heute einer dieser Damen, die ich seit vielen Jahren kenne, ganz persönlich einen Gruß an ihrem Arbeitsplatz zu überbringen. Die Villa Teresa in Coswig (Sachsen) versteckt sich auf einem Hof hinter hoch gewachsenen Bäumen. Es ist schon dunkel, aber drinnen ist Licht und so finde ich, ein Mal um das ganze Gebäude gelaufen, dann doch noch den Eingang. Ich gehe die Treppe hinauf und ich stehe in einem jener prunkvollen Räume, die Geschichten erzählen würden, wenn sie reden könnten. Heute redet und singt in einem dieser Räumen eine Rock-Lady, die auch schauspielert. Also setze ich mich voller Erwartungen auf den erstbesten Stuhl ganz vorn, damit ich ihr direkt in die Augen sehen kann. Minuten später kommt sie in das Kaminzimmer und lässt sich, stilecht am schwarzen Flügel stehend, begleiten und fragt uns „Was treibt mich nur (zu singen)“, komponiert von Andreas Bicking mit einem passenden Text von Fred Gertz. Sie beantwortet diese Frage augenzwinkernd und deutet schon mal an, worum es an diesem Abend gehen wird. Auf einem kleinen Tischchen liegt ein Stapel gebundener Blätter mit Lesezeichen darin. Die LÜTTE hat sich in den letzten Jahren immer wieder mal einen Blick zurück in ihr Leben getraut und Erinnerungen aufgeschrieben. Da ist einiges zusammen gekommen. So spannt sie einen weiten Bogen von ihrer Kindheit in Berlin, über die erste Band MEDOC und einige Größen wie Klaus Lenz und Reinhard Lakomy. Sie erzählt von der „Melodie“ in Berlin, wo sie sich alle trafen, bis hin zu ihren aktuellen interessanten Theateraktivitäten. In der ihr eigenen Art plaudert sie mal locker, mal nachdenklich, dann etwas hastig und einmal etwas langsamer, über Vater und Mutter, sowie über das Spannungsfeld von Beruf und Familie. Sie zeichnet ein Bild von Tante Gitta, einer wertvollen Porzellansammlung und der Beziehungen zu einem bis heute nicht namenlosen Bekanntenkreis. Es fallen Namen wie Wollenberger, Hagen oder auch Biermann und augenblicklich assoziiert man mit ihnen persönliche und auch selbst gelebte Geschichte. Das fällt nicht schwer, denn ANGELIKA MANN gehört zum guten Jahrgang 1949, in dem auch Peter CÄSAR Gläser, Reinhard Fißler und auch ich das Licht dieser Welt erblickten. Ich bin stolz, dazu zu gehören. Immer passend zur jeweils gelesenen Situation präsentiert sie gemeinsam mit dem Alleskönner UWE MATSCHKE am Piano musikalische Stationen aus ihrem Leben. Aus der LP „Traumzauberbaum“ von 1981 erklingt das wunderschöne „Küsschenlied“ und vom gleichen Komponisten, REINHARD „Lacky“ LAKOMY, gibt es „Ich wünsch’ mir ein Baby sehr“ gleich noch hinterher. Wir erleben „die Mann“, wie wir sie lieben, ihre Lieder nicht nur einfach singend, sondern sie steigt in sie hinein und lebt sie vor, in jedem Moment und mit allen Fasern ihres Herzens. Das ist es auch, was ich so unsagbar an ihr liebe! Sie liest sich durch die Zeit der Begegnungen mit KLAUS LENZ und erzählt vom „Ritterschlag“, den sie bekam. Im Geiste treffe ich Uschi Brüning, Hans-Joachim „Neumi“ Neumann sowie Herbert Dreilich wieder, sie lässt die Zeit mit „Lacky“ und Günter Fischer am geistigen Auge vorüberziehen und unsere Ohren bekommen „I Can’t Give You Anything But Love“, einen der Jazz-Standards der 30er Jahre, zu hören. Es passt alles zu meinen Erinnerungen an die bewegten 1970er, wie die berühmte Faust auf’s Auge. Auch ihre Hommage an den „jazzig-groovenden Funky-Osten“, als sie gemeinsam mit UWE MATSCHKE und der Geschichte von „Kutte“ das musikalische Bild eines ganz besonderen Zeitgenossen malt. Diese Nummer nur mit Pianobegleitung erleben zu können, fühlt sich ganz, ganz nah an. Die LÜTTE versetzt sich, und damit auch uns, noch einmal in jene turbulenten Zeiten, als in der DDR im Zusammenhang mit Biermann das Wort „Ausbürgerung“ entstand und sie plaudert nachdenklich von den Unterschriften auf eine Resolution. Über weite Strecken erinnert sie sich an ihren Bruder Ecki und seinen Wunsch, die Stones, einem Gerücht folgend, auf dem Springer-Hochhaus sehen zu wollen und wie er allein dafür zwei Jahre hinter Gitter kam. Ich spüre die Gänsehaut, denn auch ich wollte damals, dem gleichen Gerücht folgend, nach Berlin fahren. Wer immer noch meint, populäre Musik, erst recht Rockmusik, von Politik und deren Machern trennen zu können, muss jene Zeiten entweder verschlafen oder im Geschichtsbuch überlesen haben. Damals nicht und heute nicht viel anders! Nur die Rollen sind neu verteilt und die Werkzeuge effizienter, so mein ganz persönliches Empfinden. Aus der Zusammenarbeit mit FRANK GOLISCHEWSKI sind Lieder entstanden, die der LÜTTEN auf völlig andere Art ein Profil verleihen. Ich fühle mich ertappt bei „Der Bauch muss weg“ und amüsiere mich köstlich, wie sie dem Wunsch, auf der Bühne endlich mal die „Mary Stuart“ sein zu dürfen, Aus- und Nachdruck verleiht. Was die Zuhörer zu hören und sehen bekommen, sind die Darbietungen eines Weltstars, der nicht als solcher erkannt ist und wenn ich leise über das WARUM nachdenke - in einem Deutschland, das ein Ganzes zu sein vorgibt - wird mir simpel nur schlecht. Ein Abend mit ANGELIKA MANN ohne das „Champus-Lied“ und die Erinnerung an FRANZ BARTZSCH, nee, das geht nicht. Mit liebevollen Worten erinnert sie an den Ausnahmemusiker, der vielen Kollegen zeitlose Lieder schenkte. Für ein paar Momente bin ich gemeinsam mit ihr noch einmal im Berliner Kosmos, als wir „Danke Franz!“ live erlebten und dann singt sie dieses Lied in ihrer unnachahmlichen Art zur Klavierbegleitung von UWE MATSCHKE. In den vergangenen Jahren durfte ich die LÜTTE immer mal wieder und bei ganz unterschiedlichen Anlässen treffen. Darunter die traurigen Momente auf dem Leipziger Südfriedhof beim Abschied von CÄSAR und das bewegende Konzert für FRANZ BARTZSCH in Berlin. Doch ich sah und traf sie auch als quirlige Schauspielerin in einem Stück gemeinsam mit dem inzwischen 90-jährigen HERBERET KÖFER, mit LIPPI, der seine Karriere einst als Roadie bei Klaus Lenz startete, und einer faszinierend erotischen DORIT GÄBLER. Dieser Abend im Kulturhaus Plessa im Jahre 2007 war auch ein 8. März und wenn ich heute darauf zurück blicke, staune ich, was mir bis heute mit Blick auf meine Musik alles geschehen ist. Vielleicht hat das alles, die vielen Begegnungen, Erlebnisse und die Erfahrungen, einen Sinn, den ich so langsam zu begreifen beginne. Dieser Abend mit der LÜTTEN in der Villa Teresa gehört dazu und das anschließende Garderobengespräch auch. DANKE, „meine“ LÜTTE für diese Stunden und für die Worte, gesungen und gesprochen. Sie klingen noch immer nach und so soll es ja auch sein.