Ausstellung “70 Jahre AMIGA” in Bernburg
14.10.2017
Zwei Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges, im Februar 1947, gründete der Sänger Ernst Busch in Berlin das
Musiklabel AMIGA als Anhang zum Verlag „Lied der Zeit“. Noch im gleichen Jahr erscheint mit „Wenn bei Capri die
Sonne im Meer versinkt“ die erste Schellackplatte, die erste AMIGA – Scheibe. Zwei Jahre später wird in der Leipziger
Frauenklinik ein Junge geboren. Im Jugendweihealter entdeckt er diese schwarzen Scheiben als Sammelobjekt für sich
und entwickelt dafür eine Leidenschaft, die ihn sein Leben lang begleiten wird. Dieses „schwarze Gold“ ist fünfzig Jahre
später noch immer das Objekt meiner Begierde, auch wenn Charisma oder Polydor darauf steht. Unter dem Signum
AMIGA hatte das AMIGA-Lable 70 Jahre Musik im deutschen Osten unter die Leute gebracht. Aus diesem Anlass öffnet
heute eine Sonder-Ausstellung im Schloss Bernburg ihre Pforten. Ich wollte dabei sein und deshalb bin ich auch hier,
stehe vor dem Schloss, hoch oben über dem Ufer der Saale.
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Knapp zehn Jahre zuvor, am 15. April 2008, war ich mit Freunden im Societaets-Theater von Dresden, in dem eine der
Veranstaltungen zum Jubiläum „60 Jahre AMIGA“ mit Jörg Stempel und seinen Gästen Jäcky Reznicek und Thomas
Putensen stattfand. Es mögen damals vielleicht vierzig Besucher gewesen sein, die den interessanten Gesprächen auf
der Bühne lauschten. Inzwischen sind schon wieder Jahre vergangen und JÖRG STEMPEL verwaltet noch immer
verantwortungsvoll das musikalische Erbe vieler DDR-Schallplatten und sorgt dafür, dass die Namen von Künstlern, von
Bands sowie deren Lieder und Geschichten im Bewusstsein der Menschen lebendig bleiben. Wenn sich dann ein
Musikliebhaber wie TORSTEN SIELMON in den Kopf setzt, im Museum auf dem Schloss Berndburg eine Ausstellung über
diese 70 Jahre AMIGA - Geschichte auf die Beine zu stellen, kann er sich dabei der Unterstützung des
Nachlassverwalters sicher sein.
All das im Hinterkopf, betrete ich den kleinen Saal im Seitentrakt der Burg. Einige Besucher sind auch schon anwesend,
doch die ersten Reihen sind reserviert für Gäste. Einen einzigen freien Platz da vorn besetze ich, danach bin ich auch ein
„Gast“. Minuten später ist der Raum zum Bersten voll. Für einige bleibt nur ein Stehplatz ganz hinten, als zur Einleitung
Live-Musik erklingt. Die musikalischen Akteure dieser Veranstaltung, MANUEL SCHMID und MAREK ARNOLD, leiten mit
instrumentaler Finesse zu der Eröffnung über, ehe der Direktor des Museums Bernburg seine Begrüßungsworte an die
Anwesenden richtet. Er umreißt mit wenigen Worten, wie es zu dieser Exposition kam und bittet JÖRG STEMPEL, zu den
Anwesenden zu sprechen. Der AMIGA - Chef meistert diese Aufgabe gewohnt unterhaltsam sowie mit einigen Episoden
angereichert. Aus dem Mund von TORSTEN SIELMON erfahren wir letztlich, wie die einzelnen Exponate hierher kamen,
ehe sie zu einer Gesamtschau über 70 Jahre AMIGA aufgebaut werden konnten. Ein interessanter Exkurs und „Hut ab!“
für diese Mühe und Leistung. Ganz langsam steigt die Spannung an und die Neugier wächst, das Gehörte endlich auch
visuell in Augenschein zu nehmen.
Zuvor jedoch noch einmal Musik. Einen kleinen und sehr persönlichen Rückblick auf „Glanzleistungen in Rock“
zelebrieren das Duo MANUEL & MAREK. Wir hören respektvoll bearbeitete Rock-Diamanten in abgespeckten, aber sehr
reizvollen Interpretationen. Nur von e-Piano und Saxophon begleitet, singt MANUEL SCHMID Klassiker aus dem AMIGA-
Katalog wie „Nach Süden“ (Lift), „Sagte mal ein Dichter“ (Holger Biege) oder das angejazzte „Sonntag“ (Manfred Krug).
Mich begeistert, wie spielerisch leicht die Piano-Töne mit jedem Saxophonchorus verschmelzen. MAREK ARNOLD gelingt
es mit seinem Spiel tatsächlich, ganze Orchester- und Rockarrangements mit seinem Instrument nachfühlbar zu
gestalten. Zu meinem persönlichen Glanzpunkt wähle ich mir das zauberhafte „Zweigroschenlied“ (4 PS), einfach
fantastisch! Zwei exzellente Musikanten teilen mit uns ihre Liebe zu großartigen Liedern ostdeutscher Prägung. Wir
können und sollten sehr stolz auf all diese Leistungen sein, die doch auch zu fast jeder Vita hierzulande dazu gehören.
Die eigentliche Ausstellung befindet sich in den Räumen eines der großen Gebäude, direkt neben dem Haupteingang.
Hier geht es über eine Treppe steil nach oben, fast wie an die Spitze der Charts, die es in der DDR so nicht gab. Dort
oben angekommen, tauche ich ein in sieben Dekaden Musikgeschichte und es werden haufenweise Erinnerungen wach.
Zunächst sehe ich mir das Original der „Caprifischer“ an, eines der Exemplare, mit dem alles begann und dann lasse ich
mich einfach treiben, vorbei an den Leihgaben, Plattenhüllen und seltenen Exponaten. Erst in einer zweiten Runde
gelingt es mir, für mich wichtige oder begehrenswerte Schätze in Ruhe zu betrachten.
Ich verweile vor einem dieser originalen Tische mit Handhörern zum Herausziehen. Hier konnte man Schallplatten zur
Probe hören, ehe man sich zum Kauf entschied. Von der Wand dahinter prangt eine Coverauswahl von Jessica über Lift
und Karussell bis Silly und Veronika Fischer. Davor steht einer mit grauem Haar. Ich spreche THOMAS LÜCK an und
erhalte prompt eine signierte Autogrammkarte. In einer Vitrine entdecke ich die berühmte „Jazz-Lyrik-Prosa“ und ein
von Manfred Krug signiertes Poster. Die Platte habe ich auch, das Poster hätte ich gern. Überall an den Wänden sind
Single- und LP-Cover, thematisch oder inhaltlich geordnet, zu bestaunen und auch eine Goldene Schallplatte von Silly
kann man bewundern. In einer Nische entdecke ich die legendäre AMIGA-LP der Beatles im Trommelcover (grün/rot)
sowie die drei dazu gehörigen Singles im Kinderwagen-Cover. Ich verweile vor einigen alten und seltenen Postern von
Kreis, Engerling, Lift und Karat, die ich ebenso zu meiner Sammlung stecken würde. Der Fan und Liebhaber findet in
den Räumen vieles wieder, was Erinnerungen an die schönen Momente des Lebens weckt oder Assoziationen zu
eigenen Lebenssituationen herstellt. Musik gehört einfach zum Leben eines jeden und jeder verbindet damit sehr
persönliche Ereignisse, Momente oder Erinnerungen. Zumindest mir geht es so, während ich durch die Räume streife.
So erzählt jede Platte, jedes Cover und manches Foto eine ganz besondere Geschichte, die weitergetragen werden
möchte. Die Anregungen dafür kann man sich hier im Schloss von Bernburg in den nächsten Wochen holen.
Zwischendurch und danach kommen viele Gespräche zustande. Es gibt einige, die ihre Geschichten zu erzählen haben,
mit anderen kann ich meine eigenen Erfahrungen und Erinnerungen abgleichen. Eine von ihnen, die ich schon eine
gefühlte Ewigkeit kenne, ist ANGELIKA „Lütte“ MANN. Was für eine tolle Überraschung, sie hier wieder zu treffen. Ich
fühle förmlich die unheimliche Menge dessen, was noch irgendwo im Verborgenen schlummert. Diese Exposition ist ein
gelungener Versuch, diese 7 Dekaden der Geschichte von AMIGA darzustellen. Dafür gebührt den Beteiligten, aber
insbesondere TORSTEN SIELMON, Anerkennung, denn offensichtlich ist er derjenige, der diese Idee als Einziger hatte
und die Möglichkeiten, sie auch umzusetzen. Gut, dass es die Liebhaber und „Verrückte“ gibt, die den Dingen nicht
einfach ihren Lauf lassen, sondern ihnen eine Richtung und ein Ziel geben. Vielleicht, so meine leise Hoffnung, findet
sich auch einmal einer, der denen hinter den Kulissen und den Akteuren vor der Bühnenrampe auf ähnliche Weise ein
Denkmal errichten könnte. In den Wohnzimmern des Ostens schlummern noch viele Schätze, Unikate und
Zeitdokumente, deren einziger Wert vielleicht nur darin besteht, dass erst durch sie wirklich erkennbar wird, was die
Menschen in jenen Zeiten tatsächlich bewegte, wenn sie Musik hörten, sich damit beschäftigten oder vor einer Live-
Bühne standen. Noch sind genug Zeitzeugen unter uns, noch ist Zeit für die Spurensuche. Bis „80 Jahre AMIGA“ genau
zehn Jahre.