Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Amanda Rheaume meets Microvista - das Hauskonzert 26.04.2019 Beim Durchstöbern von Terminen einiger Künstler habe ich schon manchmal gedacht, dass ich bei so einem „Privatkonzert“ auch gern einmal dabei sein würde. Was sind das für Konzerte und wie kommt man als normaler Besucher dazu? Dann male ich mir aus, wie so ein Event in kleinem Rahmen wirken könnte und mache sofort einen Haken daran: Solche Chancen gingen bisher stets an mir vorbei. Eines Tages aber bekomme ich einen Anruf: Ob ich Lust hätte, an einem kleinen, nicht öffentlichen Konzert in Blankenburg dabei zu sein? Ich hatte und als der Tag gekommen ist, kann ich in einem Live-Stream miterleben, wie fleißige Hände den ganzen Tag über alle notwendigen Vorbereitungen treffen, damit dieser Abend ein Erlebnis werden kann. Jetzt fahre ich, mit meiner Einladung in der Tasche, zur Firma Microvista in Blankenburg, zu deren Hauskonzert. Ich bin neugierig, was mich erwarten wird. AMANDA RHEAUME ist eine mit Preisen dekorierte Singer-Songwriterin mit Vorfahren bei den Mètis, einer ethnischen Gruppierung in Kanada, Nachfahren europäischer Einwanderer und Frauen mit indianischer Abstammung. Sie ist eine Künstlerin, deren Songs im Folk, Country und ein wenig im Blues haften und diese unverwechselbare Americana- Stimmung entstehen lassen. Wer zudem mit Emmylou Harris und Lucinda Williams auf der Bühne stand, lässt allein schon durch diese Tatsachen aufhorchen. Ich hoffe deshalb auf einen besonderen Konzertabend mit viel Nähe und genau so empfängt der Firmensitz am Stadtrand seine Gäste: Entspannte Atmosphäre in dezenter Nähe sowie angenehmen Begegnungen, ehe wir vom Hausherrn, Dr.-Ing. Lutz Hagner, begrüßt werden. Ein wenig Protokoll muss sein und wer möchte nicht auch jenen Menschen kennenlernen, der sich traute, ein „Privatkonzert“ in seiner Firma anzugehen. Respekt ihm und allen, die das Projekt „Microvista meets Music“ auf die Beine stellten! Wenig später entern drei Musiker das Bühnenpodest. AMANDA RHEAUME folgt ihnen und begrüßt uns mit einem Lächeln im Gesicht. Durch die Halle scheppern ruppige Gitarrenakkorde, wie man sie von Creedence Clearwater Revival kennt, und dann rockt „Blood From A Stone“ als deftiger Südstaaten-Blues durch die Stuhlreihen. Meine Füße wippen im Rhythmus, der Sound packt mich. Es geht mir gut. Das anschließende „Mind Over Matter“ (Eine Sache des Willens) erinnert mich an so eine samtweiche Folk-Nummer aus früheren Tagen und bei „Light Is Gone“ hat die schwarz gekleidete Lady da vorn ihr Auditorium im Griff. Begeisterung beginnt, sich überall auszubreiten. Bei einem deutschen (sitzenden) Publikum von locker 50plus kein leichtes Unterfangen. Respekt! Spätestens jetzt fällt auf, was für eine begnadete Stimme für uns Song-Geschichten aus ihrem Leben singt und dabei beinahe Folk-Stimmung, wie bei bei „Dead Horse“, aufkommen lässt. Sie und ihre drei Musiker überraschen mit dreistimmigem Harmoniegesang und lassen mich bei „Kiss Me Back“ beinahe träumen. Dazwischen erzählt sie von kleinen Begebenheiten, aus denen einige ihrer Songs entstanden und sie spricht über ihre Herkunft, über das ethnische Volk der Mètis, und besonders über die Frauen, die (noch immer) für ihr Recht kämpfen müssen. Als sie dann sehr emotional vom „Red Dress“ singt, bekomme ich wieder einmal eine Gänsehaut. Ich muss komischerweise an Mari Boine denken, die aus ähnlichen Themen eine völlig andere Musik macht und dennoch genau das Gleiche meint. Was ist das für eine Zeit, in der noch immer Menschen von Menschen, Minderheiten von Mehrheiten und Völker von Machthabern erniedrigt werden können? Irgendetwas muss sich grundlegend ändern – bald! Nach einer Pause sagt und singt AMANDA RHEAUME „This One’s For You“ und präsentiert uns mit„The Skin I’m In“, den Titelsong ihrer aktuellen CD. Sogleich erzeugen die wundervollen Gesangsharmonien und der eingängige Refrain ein wohliges Gefühl von Gemeinsamkeit. Im perfekten Zusammenspiel mit Gitarristen ANDERS LIFMANN DRERUP versteht sie es, ihre filigranen Melodiefolgen sanft auszuloten, um schon Augenblicke später beim „Friendly Fire“ fast zu explodieren. Sie tobt über das kleine Podest, JOSE SCHARARD an den Drums unterstützt sie, während der Mann am Bass, TYSON GALLOWAY, der stille Ruhepol der Band zu sein scheint. Es macht Vergnügen, die Musiker zu beobachten und sie als musizierende Band zu erleben. Für ihre eigene Version von „Landslide“, das im Original Fleetwood Mac singen, nutzen sie ganz dezent ihr Akustikgitarren und geben dem Song einen intimen leisen Klang, den AMANDA, nur im Duett mit ihrem Gitarristen für „On Disappearing“ ganz sanft ausklingen lässt. Wunderschön! Noch einmal dürfen wir an ethnischer Historie teilhaben, als sie von ihrer Verwandtschaft erzählt und von sechzig langen Jahren, ohne einige von ihren Geschwistern jemals getroffen zu haben. Das alles hat viel mit einem See zu tun und dem Gefühl, mit allen dort wieder vereint sein zu können. Genau aus dieser Stimmung heraus ist der sehr persönliche Song „Return To The Water“ entstanden. Wieder staune ich über diese glasklare, beinahe messerscharfe Frauenstimme, die anklagend und trotzig von den Schicksalen der nordamerikanischen Minderheit berichtet. Diese Thematik zieht sich durch einige ihrer Songs, die sie im Laufe des Abends präsentiert. Inzwischen erlebt die moderne Firmenhalle eine bis dahin hier völlig ungekannte Begeisterung vieler Menschen. Wo noch vor Stunden hochintensive digitale Prüf- und Messverfahren im Fokus standen, dominiert vorübergehend eine blonde Naturschönheit aus Kanada mit ihrer Stimme das Geschehen. AMANDA RHEAUME begeistert mit ihren Songs und natürlicher Ausstrahlung, mit Spontaneität und Nähe. Noch einmal gibt sie ihren Musikern Gelegenheit, sich solistisch zu präsentieren, noch einmal knallen scharfe Gitarrenriffs durch den Raum und der pure Rock’n’Roll tanzt bei „Tell Me Anything“ auf dem kleinen Bühnenpodest. Doch leider ist es so, dass auch so besondere Musikereignisse ausklingen und der allerletzte Ton irgendwann gespielt ist. Doch zum Glück gibt es ja Zugaben, auf deren Vorhandensein man sich meist blind verlassen kann. Auch AMANDA huldigt diesem Brauch und überrascht mich ein weiteres Mal. Mit einer Mundharmonika und einer bekannten Melodie, sowie der Parallele zu Kanada, braut sie eine wild rockende Version von Neil Young’s „Heart Of Gold“, dass tatsächlich die Fetzen fliegen. Dem Landsmann von Amanda würde diese Interpretation bestimmt gefallen, denke ich mir, denn der hält es auch mit „Keep On Rockin’ In A Free World“. Ich sitze direkt vor ihr und genieße diesen Augenblick mit all meinen Sinnen. So schön, so direkt und intensiv erlebt, wird es so schnell nicht wieder werden, weiß ich jetzt. Sie und ihre Band schieben mit „Angel“ noch einen weiteren Rocker hinterher und dann verbeugen sie sich vor einem ausgewählten sowie herzlich applaudierenden Publikum. Das exquisite Hauskonzert der Kanadierin, die MICROVISTA traf und hier begeisterte, ist in diesem Augenblick Geschichte. Um mich herum kann ich in glückliche und zufriedene Gesichter sehen. Manchmal geschehen die großen Dinge im Kleinen, im Verborgenen und ohne die breite Öffentlichkeit und manchmal ist das auch gut so. Wie in diesem Fall, als ich AMANDA RHEAUME in fast familiärer Atmosphäre bei MICROVISTA dann auch ganz persönlich treffen und sprechen kann. Dafür bin ich all jenen sehr dankbar, die dieses Ereignis möglich gemacht haben. Im Stillen hoffe ich, die Geldspenden der Besucher für den Verein Authismus Nordharz e.V. mögen dazu beitragen, Gutes zu tun. Vielleicht hofft mancher Besucher aber auch ein wenig auf so etwas wie eine Fortsetzung dieses Abends in einem ähnlichen Rahmen. Denen schließe ich mich sehr gern an.